Pragmatische Sanction. 37
die Erweiterung des Gebietes selbst machten die österreichischen Staats-
männer traurig, wenn sie bedachten, daß der Staat vielleicht so sterb-
lich sei, wie der Kaiser; daß bei dem Tode desselben eine Auflösung
der Monarchie in ihre durch die Arbeit von Jahrhunderten ver-
einigten Bestandtheilen in Aussicht trete.
Wie man bemerkt hat, daß die ganze diplomatische Geschichte
der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts von der Erwartung
der Thronerledigung in Spanien und den daran sich knüpfenden Ent-
würfen bestimmt ward, so haben die Bewegungen über die Erbfolge
in Oesterreich mehrere Jahrzehnte vor dem Tode Carl VI ihren An-
fang genommen: die diplomatischen Verhandlungen wurden nunmehr
von dieser Erwartung beherrscht, wic früher von jener.
Für Oesterreich war es ohne Zweifel die vornehmste aller Auf-
gaben, seiner eigenen Auflösung vorzubeugen. Als Staat hatte es
noch keinen eigentlichen Mittelpunkt; insofern war ihm der Besitz des
Kaiserthums, welches diesen bildete, eher nachtheilig, als vortheilhaft
gewesen. Ob ein österreichischer Staat als solcher bestehen oder der-
selbe sich in die Länder verschiedener Nationalität und Berechtigung,
aus denen er ursprünglich zusammengesetzt war und die nur durch
das dynastische Interesse zusammengehalten wurden, auflösen sollte,
hing davon ab, daß eine über das Leben des gegenwärtigen Regenten
hinaus gesicherte Erbfolgeordnung eingeführt wurde. Es hat einen
historischen Zusammenhang, wenn in dem Momente, in welchem die
Trennung von Oesterreich und Spanien festgesetzt wurde, Oesterreich
sich als ein besonderer und untheilbarer Staat begründete. In einer
feierlichen Versammlung seines Geheimen Rathes ließ der Kaiser am
19. April 1713 1) ein Hausgesetz verkündigen, kraft dessen die ihm
angestammten Erbkönigreiche und Lande nach seinem Tode sämmtlich
und ungetheilt an seine männlichen Nachkommen, wenn er aber deren
nicht habe, an seine Töchter und in deren Ermangelung an die Erz-
herzoginnen, Töchter seines verstorbenen Bruders, endlich auch an seine
Schwestern, Töchter des Kaisers Leopold, gelangen sollten, allemal
jedoch, wie nachdrücklich wiederholt wird, ungetheilt, und nach dem
Rechte der Erstgeburt. Es war zur Zeit einer in Wien herrschenden
Pest, wo man rings um sich her unerwartete Todesfälle erlebte, daß
1) Die Einwendungen des allen Wandersmannes (Anemonen II, 121)
gegen die Richtigkeit des Datums heben sich, da die Ausdrücke, an denen er
Anstoß nimmt, in dem ursprünglichen Texte, wie er auch bei Olenschlager,
Geschichte des Interregni I, 12 steht, nicht vorkommen, sondern erst in den
späteren Transactionen erscheinen.