Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Pragmatische Sanction. 37 
die Erweiterung des Gebietes selbst machten die österreichischen Staats- 
männer traurig, wenn sie bedachten, daß der Staat vielleicht so sterb- 
lich sei, wie der Kaiser; daß bei dem Tode desselben eine Auflösung 
der Monarchie in ihre durch die Arbeit von Jahrhunderten ver- 
einigten Bestandtheilen in Aussicht trete. 
Wie man bemerkt hat, daß die ganze diplomatische Geschichte 
der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts von der Erwartung 
der Thronerledigung in Spanien und den daran sich knüpfenden Ent- 
würfen bestimmt ward, so haben die Bewegungen über die Erbfolge 
in Oesterreich mehrere Jahrzehnte vor dem Tode Carl VI ihren An- 
fang genommen: die diplomatischen Verhandlungen wurden nunmehr 
von dieser Erwartung beherrscht, wic früher von jener. 
Für Oesterreich war es ohne Zweifel die vornehmste aller Auf- 
gaben, seiner eigenen Auflösung vorzubeugen. Als Staat hatte es 
noch keinen eigentlichen Mittelpunkt; insofern war ihm der Besitz des 
Kaiserthums, welches diesen bildete, eher nachtheilig, als vortheilhaft 
gewesen. Ob ein österreichischer Staat als solcher bestehen oder der- 
selbe sich in die Länder verschiedener Nationalität und Berechtigung, 
aus denen er ursprünglich zusammengesetzt war und die nur durch 
das dynastische Interesse zusammengehalten wurden, auflösen sollte, 
hing davon ab, daß eine über das Leben des gegenwärtigen Regenten 
hinaus gesicherte Erbfolgeordnung eingeführt wurde. Es hat einen 
historischen Zusammenhang, wenn in dem Momente, in welchem die 
Trennung von Oesterreich und Spanien festgesetzt wurde, Oesterreich 
sich als ein besonderer und untheilbarer Staat begründete. In einer 
feierlichen Versammlung seines Geheimen Rathes ließ der Kaiser am 
19. April 1713 1) ein Hausgesetz verkündigen, kraft dessen die ihm 
angestammten Erbkönigreiche und Lande nach seinem Tode sämmtlich 
und ungetheilt an seine männlichen Nachkommen, wenn er aber deren 
nicht habe, an seine Töchter und in deren Ermangelung an die Erz- 
herzoginnen, Töchter seines verstorbenen Bruders, endlich auch an seine 
Schwestern, Töchter des Kaisers Leopold, gelangen sollten, allemal 
jedoch, wie nachdrücklich wiederholt wird, ungetheilt, und nach dem 
Rechte der Erstgeburt. Es war zur Zeit einer in Wien herrschenden 
Pest, wo man rings um sich her unerwartete Todesfälle erlebte, daß 
  
1) Die Einwendungen des allen Wandersmannes (Anemonen II, 121) 
gegen die Richtigkeit des Datums heben sich, da die Ausdrücke, an denen er 
Anstoß nimmt, in dem ursprünglichen Texte, wie er auch bei Olenschlager, 
Geschichte des Interregni I, 12 steht, nicht vorkommen, sondern erst in den 
späteren Transactionen erscheinen.
	        
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