Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Pragmatische Sanction. 39 
pragmatische Sanction nicht allein angenommen (22. April 1720), 
sondern dafür gedankt. Auch in Böhmen hatte das an sich keine 
Schwierigkeit, wie ja die Krone durch weibliche Succession an das 
Haus gekommen war. Der Urheber der goldenen Bulle hatte dies 
selbst vorgesehen; aber ganz gegen andere Dispositionen derselben lief 
es, daß eine Frau die kurfürstlichen Rechte ausüben sollte. Eine Ueber- 
lieferung ist: es sei davon die Rede gewesen; Prinz Eugen habe er- 
wiedert, in diesem Falle müsse die goldene Bulle vor der Nothwendig- 
keit und dem Interesse des europäischen Gleichgewichts zurückstehen. 
Unbedenklich möchte ich das nicht wiederholei. Wenigstens war von 
Anfang an auf die der Krone inhärirenden Rechte Rücksicht genom- 
men, und man hatte schon früher erlebt, daß die Kur durch Ueber- 
tragung ausgeübt worden war. Einigen Anstand fand die Sache in 
Ungarn!). Erst im Juli 1722 erfolgte die Anerkennung des Erb- 
folgerechts der Erzherzoginnen: sie wurde dem Kaiser durch eine förm- 
liche Botschaft der Stände notificirt. Die Erstgeburtsordnung, die 
damit verbunden war; und welche die Erbfolge der erstgeborenen 
Tochter des Kaisers, Maria Theresia, sicherte, wurde erst ein Jahr 
später (Juli 1723) von den ungarischen Reichsständen ausgesprochen. 
Zuerst in den vornehmsten der niederländischen Provinzen, Brabant 
und Flandern, dann auch in allen übrigen wurde die pragmatische 
Sanction als ein unwiderrufliches Gesetz anerkannt. 
Indem es so weit kam, soll die Ansicht geäußert worden sein, 
das Beste wäre, sich nun um die Anerkennung der europäischen 
Mächte so sehr nicht zu bekümmern, sondern nur die Verstärkung der 
inneren Kräfte der Monarchie ins Auge zu fassen. Dem Geiste und 
dem Sinne der Epoche hätte das jedoch nicht entsprochen. Dem Kaiser 
war schon deshalb an der Anerkennung seiner Disposition durch die 
europäischen Mächte unendlich viel gelegen, weil eine Staatsgewalt einer 
sichern Zukunft bedarf, um Autorität zu besitzen. Ueberdies beruhte 
der Bestand der Monarchie auf der Uebereinstimmung der europäischen 
Mächte: die Quadrupelallianz hatte denselben nicht allein garantirt, 
sondern überhaupt erst in seinem Umfange festgesetzt. Auf diese Allianz 
stützte sich nun auch der Kaiser vorzüglich bei seinen auf die An- 
erkennung der Erbfolge gerichteten Anträgen; denn da er selbst die 
Erbfolge in England, Frankreich und Spanien, die alle zweifelhaft 
gewesen sei, anerkannt habe: so sei es billig, daß auch die öster- 
reichische außer allen Zweifel gesetzt werde. Hiebei aber fand er die 
1) Olenschlager, Geschichte des Interregnums I, S. 16.
	        
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