Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Unterhandlungen bis zur Verabredung von Kleinschnellendorf. 465 
In dem preußischen Lager bildete sich die Meinung aus, als sei es 
den Franzosen lieber, drei oder vier mittelmäßige Mächte zu errichten, 
von denen die eine der andern entgegengesetzt werden könne, als eine 
oder zwei, die auf eigener Kraft beruhend, dann auch einmal fähig 
sein würden, ihnen selbst die Spitze zu bieten. Nach Friedrichs Be- 
hauptung, die durch alle Einleitungen, die sie trafen, gerechtfertigt 
wird, sollten deren vier sein: Ungarn mit den innerösterreichischen 
Landschaften, Baiern mit Böhmen, Oberösterreich und den Vorlanden, 
Sachsen mit Mähren und Oberschlesien, Preußen mit Niederschlesien. 
Schon der Gedanke, gleichmäßige Nachbarn neben sich zu sehen, 
die mit ihnen nothwendig werdende Unterhandlung über eine vor- 
läufige Abgrenzung der neuen Gebiete, berührte den König von 
Preußen unangenehm. Es ist wahr, von der Königin von Ungarn 
hatte er nur Niederschlesien und Breslau gefordert, und nur dies sich 
garantiren lassen, aber wenn man dann einmal neue Staaten schuf 
oder neue politische Zusammenstellungen versuchte, so war er den erst 
in Besitz zu Setzenden gegenüber nicht damit zufrieden. Er nahm 
dann Glatz und einen weiteren Umkreis um Neiße her, als den man 
ihm zugetheilt hatte, in Anspruch. Es schien ihm billig, daß die- 
jenigen, denen er helfen sollte Königreiche erobern, etwas mehr ge- 
währten, als die Königin, die einen alten Besitz aufgegeben hatte. 
Seine Forderungen kamen den übrigen sehr unerwartet; durch ihre 
verweigernden Antworten ward er hinwieder verstimmt. Daß Ober- 
schlesien an Sachsen gelangen sollte, war ihm an sich unerwünscht: 
er zeigte sich ungeduldig, daß es über den kleinen Bezirk von Neiße 
nicht nachgeben wollte. 
Eine wirkliche Gefahr aber lag darin, daß diese Staaten nun 
unter den Einfluß von Frankreich gerathen mußten, welches ihre 
Macht begründete. Diesem wäre ein unermeßliches Ansehen in Deutsch- 
land zu Theil geworden. König Friedrich, dem immer die Geschichte 
der alten Welt vorschwebte, glaubte vorauszusehen, daß die Franzosen 
über die benachbarten Könige, deren Eifersucht unvermeidlich war, eine 
Art von oberherrlichem Schiedsrichteramt ausüben würden, wie die 
Nömer einst zwischen den Königen von Bithynien und Pergamus 1). 
Er seinerseits hatte Beweise, daß er sich von ihnen keine Vor- 
liebe noch Begünstigung versprechen durfte. 
1) Auch Karl Albert sagte später: Les Français ont voulu ménager 
la chèr#re ct le chou: ne voulant, que je m’empare de Vienne, ils ondt 
eu leur raisons, pour détruire les uns par les autres et faire le partage 
de lion. 
v. Ranke's Werke XXVII. XXVIII. 30
	        
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