Reichstag in Ungarn. 483
verstimmte die Nation, die es der einseitigen Abneigung einzelner
Minister zuschrieb. Jetzt aber hob die Bedrängniß, in der man war,
jede Rücksicht auf. Am 11. September beschied die Königin die
Stände vor sich, um, da sie von allen verlassen sei, ihre Zuflucht zu
ihnen zu nehmen, wie ihre Worte lauten, „zu der alten Treue und
Tapferkeit der Ungarn, ihre Person, ihre Kinder ihnen anzuvertrauen“!).
Als sie der Kinder erwähnte, brachen ihre Thränen hervor, und sie
bedeckte ihr Gesicht. Ihr Begehren traf mit dem, was die Ungarn
selber wünschten, zusammen, ihrer Liebe zu den Waffen und ihrem
Stolze, und als sich bei den ersten tröstenden und verheißenden Zu-
sagen, die der Primas des Reiches ihr gab, ihre schönen Züge, die
noch die Spur der erduldeten Leiden trugen, durch einen Strahl der
Hoffnung erheiterten, entstand eine unbeschreibliche Bewegung unter
ihnen; in den rossebändigenden und freiheitliebenden Natursöhnen er-
wachten alle die Gefühle von Treue und Tapferkeit, welche sie herauf-
beschwor; mit Einer Stimme riefen sie, daß ihr Blut und ihr Leben
ihr gewidmet sei. Die deutschen Minister verwünschend, in deren
Mienen sie Mißvergnügen und Ungunst zu lesen geglaubt hatten, be-
gaben sie sich in das Ständehaus, wo sie auf einen Vorschlag des
Palatins und des Hofrichters, welche die Bedrängniß und die Stim-
mung der Königin ausführlicher schilderten, ohne lange Berathung
mit beistimmendem Geräusch und Zuruf ein allgemeines Aufgebot be-
schlossen. "
Die Königin hatte besonders die Frauen für sich, denen sie gern
Gehör gab und die Rücksicht gewährte, die sie wünschten — auch die
geringste Edelfrau ward geehrt —; man kennt die Macht, welche die
Frauen in Ungarn wie in Polen ausüben. Unter den Ständen
schlossen sich ihr am meisten die Magnaten an: namentlich Johann
Palffy, der vor vielen Jahren schon an der ersten Aussöhnung mit
den Mißvergnügten Theil gehabt hatte und jetzt zum Palatin ernannt
war; die Königin würdigte ihn ihres vertrauten Umgangs, ließ ihm
einen Stuhl reichen, wenn er erschien, denn schon war er hoch bei
Jahren, holte seinen Rath ein und befolgte denselben; ferner die
Esterhazy und Erdödy, die in den höchsten geistlichen und weltlichen
Würden standen. Durch diese ward nun auch, wiewohl nicht ohne
1) Kolinowicz hat Seite 491 die offizielle Redaction, wie sie vom Hofe
an den Personal gelangte. So ist sie verbreitet worden, und z. B. auch bei
Olenschlager: Geschichte des Interregnums III, 367, übersetzt. Kolinowicz hat
jedoch auch noch einen etwas abweichenden Text nach der Ausfassung in jener
Stunde selbst; dieser macht mehr den Eindruck eines freien Ergusses.
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