Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

Reichstag in Ungarn. 483 
verstimmte die Nation, die es der einseitigen Abneigung einzelner 
Minister zuschrieb. Jetzt aber hob die Bedrängniß, in der man war, 
jede Rücksicht auf. Am 11. September beschied die Königin die 
Stände vor sich, um, da sie von allen verlassen sei, ihre Zuflucht zu 
ihnen zu nehmen, wie ihre Worte lauten, „zu der alten Treue und 
Tapferkeit der Ungarn, ihre Person, ihre Kinder ihnen anzuvertrauen“!). 
Als sie der Kinder erwähnte, brachen ihre Thränen hervor, und sie 
bedeckte ihr Gesicht. Ihr Begehren traf mit dem, was die Ungarn 
selber wünschten, zusammen, ihrer Liebe zu den Waffen und ihrem 
Stolze, und als sich bei den ersten tröstenden und verheißenden Zu- 
sagen, die der Primas des Reiches ihr gab, ihre schönen Züge, die 
noch die Spur der erduldeten Leiden trugen, durch einen Strahl der 
Hoffnung erheiterten, entstand eine unbeschreibliche Bewegung unter 
ihnen; in den rossebändigenden und freiheitliebenden Natursöhnen er- 
wachten alle die Gefühle von Treue und Tapferkeit, welche sie herauf- 
beschwor; mit Einer Stimme riefen sie, daß ihr Blut und ihr Leben 
ihr gewidmet sei. Die deutschen Minister verwünschend, in deren 
Mienen sie Mißvergnügen und Ungunst zu lesen geglaubt hatten, be- 
gaben sie sich in das Ständehaus, wo sie auf einen Vorschlag des 
Palatins und des Hofrichters, welche die Bedrängniß und die Stim- 
mung der Königin ausführlicher schilderten, ohne lange Berathung 
mit beistimmendem Geräusch und Zuruf ein allgemeines Aufgebot be- 
schlossen. " 
Die Königin hatte besonders die Frauen für sich, denen sie gern 
Gehör gab und die Rücksicht gewährte, die sie wünschten — auch die 
geringste Edelfrau ward geehrt —; man kennt die Macht, welche die 
Frauen in Ungarn wie in Polen ausüben. Unter den Ständen 
schlossen sich ihr am meisten die Magnaten an: namentlich Johann 
Palffy, der vor vielen Jahren schon an der ersten Aussöhnung mit 
den Mißvergnügten Theil gehabt hatte und jetzt zum Palatin ernannt 
war; die Königin würdigte ihn ihres vertrauten Umgangs, ließ ihm 
einen Stuhl reichen, wenn er erschien, denn schon war er hoch bei 
Jahren, holte seinen Rath ein und befolgte denselben; ferner die 
Esterhazy und Erdödy, die in den höchsten geistlichen und weltlichen 
Würden standen. Durch diese ward nun auch, wiewohl nicht ohne 
1) Kolinowicz hat Seite 491 die offizielle Redaction, wie sie vom Hofe 
an den Personal gelangte. So ist sie verbreitet worden, und z. B. auch bei 
Olenschlager: Geschichte des Interregnums III, 367, übersetzt. Kolinowicz hat 
jedoch auch noch einen etwas abweichenden Text nach der Ausfassung in jener 
Stunde selbst; dieser macht mehr den Eindruck eines freien Ergusses. 
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