Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

532 Neuntes Buch. Viertes Capitel. 
größte Erstaunen, daß sie sich noch erst in Stand setzen wollten. Er 
brachte in Erinnerung, daß das preußische Kriegsheer seit 18 Mo- 
naten in Bewegung gewesen, auch während des Winters, unter un- 
aufhörlichen Anstrengungen, ohne mehr als 6 Wochen Rast; wie viel 
Verluste habe es erlitten, durch Desertion oder Krankheit, oder das 
feindliche Feuer, aber immer seien sie sofort ersetzt worden; in den 
letzten Monaten habe er durch seinen Kriegszug die Franzosen vor 
jedem Anfall gesichert und ihnen Ruhe verschafft; er habe so eben 
noch durch seine Schlacht Prag und Böhmen für sie gerettet; wie 
schimpflich für sie, daß sie, die bisher nichts gethan, auch jetzt noch 
nicht schlagfertig zu sein erklärten. Er kenne überhaupt die Fran- 
zosen nicht mehr: die Geschichte zeige sie immer eher im Felde als 
ihre Feinde, jetzt seien sie langsam und nachlässig geworden 1). 
Belleisle fand diese Beschwerden größtentheils selbst gegründet. 
Wie hätte er Broglie mit Erfolg in Schutz nehmen sollen, da er ihm 
in seinen Briefen alle Versäumnisse zur Last legt. Oft sagte ihm der 
König von Preußen eben das, was er jenem vorgestellt hatte. 
Doch auch Belleisle ließ die alte Bewunderung und Theilnahme 
vermissen. Den Preußen fiel es auf, daß der kriegsgelehrte Marschall 
und seine Umgebung kein Verlangen zeigten, den Schauplatz ihres 
Ruhmes, das Schlachtfeld von Chotusitz, zu besehen. 
Und kaum hatte er sich entfernt, so vernahm man, daß die bei- 
den österreichischen Heere, ungehindert von Broglie, sich vereinigt hätten, 
daß dieser von Frauenberg nach Pisek, von da gegen Prag hin zurück- 
gedrängt werde. Sein Rückzug war mit großer Unordnung verknüpft. 
Im preußischen Lager machte dies den ungünstigsten Eindruck. 
Der gemeine Mann meinte, Broglie ziehe sich wohl gar absichtlich 
zurück, nur um den König noch einmal zur Ergreifung der Waffen 
zu nöthigen; der solle eine Sache führen, die von den Franzosen nicht 
mehr ernstlich verfochten werde; schon sei ihr Sinn auf Frieden ge- 
richtet, doch würde es ihnen Vergnügen machen, die Deutschen unter- 
einander schlagen zu sehen. 
In der That, dahin mußte es wohl bei länger dauernder Un- 
entschiedenheit noch einmal kommen. 
1) Ausführlicher Bericht Belleisles, Kuttenberg, 4. Juni (im Archiv zu 
Paris). Charakteristisch für den König ist der Schluß: Les vivacitès du roi 
de Pr. w'ont jamais porté que sur les choses. Car il S'est toujours ex- 
primé dans les termes les plus convenables et les plus avantageux sur 
le roi et sur la France.
	        
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