Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

536 Neuntes Buch. Viertes Capitel. 
beite wider den andern, nicht so sehr, um demselben zu schaden, als 
nur um sich selber zu behaupten, was sogar die natürliche Pflicht 
eines jeden fordere ). 
König Friedrich sucht nun besonders die moralische Zurechnung. 
des Schrittes, zu dem er genöthigt sei, von sich abzulehnen; den Mo- 
ralisten, „den Stoikern von trockenem Gehirn“ spricht er das Recht 
ab, über sein Verfahren zu urtheilen. Unverletzlich, sagt er, sei die 
Moral eines Privatmannes;: — der müsse jeden Augenblick den Pri- 
vatvortheil dem Besten der Gesellschaft aufopfern — allein ein Fürst 
habe für den Vortheil einer großen Nation zu sorgen und ganz an- 
dere Pflichten. Er, der König, habe jetzt zwei Bundesgenossen, von 
denen der eine (Frankreich) nichts Rechtes thue und der andere (Sach- 
sen) gar nichts; der Zufall, der im Glück der Waffen herrsche, und 
die Zweizüngigkeit der Politiker setze seine Armee dem Ruin, seine 
Völker dem Verderben aus; er werde seine Erwerbungen verlieren. 
und seinen Schatz erschöpfen: könne man es einem Fürsten verargen, 
wenn er sich einem gewissen Schiffbruch entziehe?)? Ein Privatmann, 
fügt er später hinzu, dem ein vertragsmäßiges Versprechen nicht er- 
füllt werde, könne die Hülfe der Gerichtshöfe in Anspruch nehmen; 
einem Fürsten bleibe nichts übrig, als sich selbst zu helfen, denen zu- 
vorzukommen, deren Untreue seinen Staat zu Grunde richten würde. 
Mit Einem Worte, er will sein Verfahren nur aus dem politischen 
Gesichtspunkt betrachtet wissen und verbittet sich jeden Schluß eines 
Außenstehenden auf seine Moralität; er behauptet vor allem, daß er 
nicht anders gekonnt habe. Ich denke, die Nachwelt, auf die er sich 
vertrauensvoll beruft, muß ihm zugestehen, daß er die dringendsten 
Gründe hatte. 
Einmal: die Anstrengungen der Verbündeten zeigten sich unfähig, 
der Königin Böhmen zu entreißen; diesen Gedanken, den er eine Zeit- 
lang selber gehegt, hatte er aufgeben müssen: ihn durchführen zu 
wollen, hätte seine Kräfte überstiegen und ihn in widerwärtige Ab- 
hängigkeit von der Schwäche der Andern gebracht. 
Sodann: er mußte allerdings fürchten, daß, indem er sich für 
die Verbündeten schlage, von diesen ein einseitiger Friede geschlossen 
werde, so daß er den überlegenen Waffen der Königin allein aus- 
gesetzt bleibe. Man sagte ihm von einem Emissär Fleurys, der zu 
1) Distinctions sur la foi des traites. Mémoires historiqucs 63. 
2) Schreiben an Jordan (amp de Kuttenberg 15 juin, in der akad. 
Ausgabe der Oeurres XVII, 225. Avantpropos zu der bistoire de mon 
temps.
	        
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