74 Fünftes Buch. Drittes Capitel.
brauchen, um zu bestehen; keinen Bund zu schließen, ohne Vortheil
gegen Vortheil auszutauschen. Dieser principielle Gegensatz, in welchem
sich persönliches Selbstgefühl und Bewußtsein der Würde des Staates
durchdrangen, wurde nun aber durch mancherlei anderweite Differenzen
genährt.
Schon über das Testament Georgs I, das dessen Nachfolger
nicht zum Vorschein kommen lassen wollte, waren Irrungen entstan-
den: es folgten andere über die Erbschaft jener unglücklichen Herzogin
von Ahlden, Mutter Georgs 1I und der Königin von Preußen.
Nachbarliche Streitigkeiten brachen aus, vornehmlich über Mecklenburg,
von welchem Lande Hannover, um der Kosten einer früher einmal
vollzogenen Execution, die sehr hoch berechnet waren, sicher zu sein,
einige Bezirke besetzt hielt, wogegen sich jetzt der König von Preußen
ein Conservatorium ertheilen ließ, — auch über Ostfriesland, das bei
einer nahe bevorstehenden Vacanz an Preußen fallen sollte, zur
schlechten Genugthuung der hannoverschen Minister.
Da Friedrich Wilhelm eben damals den Tractat einging, durch
den er sich so genau an den Kaiser anschloß und England sich diesem
sehr ernstlich entgegenstellte, da ganz Europa noch zwischen Krieg und
Frieden schwankte: so hat es sogar einen Augenblick bei einem ge-
ringen Anlaß den Anschein gewonnen, als sollte der Streit zwischen
diesen beiden nahe verwandten Königen zu dem Ausbruch emnstlicher
Thätlichkeiten führen.
Den Anlaß gaben einige Gewaltsamkeiten preußischer Werber,
wie sie schon oft vorgekommen. Aber jetzt wollte Georg II, der 1729,
zum ersten Male als König, seine deutschen Länder besuchte, sie nicht
mehr dulden. Ohne dem König von Preußen auch nur Nachricht von
seiner Ankunft gegeben, geschweige ihn erinnert zu haben, ließ er die
preußischen Soldaten, die den Weg durch sein Gebiet nahmen, auf-
greifen und gefangen setzen, und erklärte, sie nicht wieder frei geben
zu wollen, bis ihm die Hannoveraner, welche man in preußische
Dienste genommen, ausgeliefert seien.
In Berlin erfuhr man dies nicht etwa durch amtliche Anzeige,
sondern durch die Zeitungen, und es läßt sich denken, in welche Auf-
regung Hof und Armee gerieth. Georg II, sagte man, habe damit
nicht eine Feindseligkeit begangen, gegen die man sich würde wehren
können, sondern eine Beleidigung, die man rächen müsse: Friedrich
Wilhelm hatte nicht übel Lust, ein paar Quartiere im Lüneburgischen
aufheben zu lassen, damit auch er Gefangene auszuwechseln habe, sich
überhaupt mit den Waffen Genugthuung zu verschaffen.