Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 27. und 28. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Fünftes bis neuntes Buch. (27)

90 Fünftes Buch. Viertes Capitel. 
geborenen Sinn, aber durch den Gebrauch der Tafel fortgerissen, trank 
er mehr als gewöhnlich; er sprach so laut, daß man ihn über den 
Tisch hörte und die Königin ängstlich wurde, was den Prinzen nicht 
abhielt, die Ergießungen über seine Leiden fortzusetzen; nur so oft er 
seinen Vater ansah, fühlte er sich darin gestört und unterbrach sich 
mit den Worten: „Ich liebe ihn dennoch.“ Die Königin war weg- 
gegangen; der Prinz wollte nicht gehen, ehe er nicht von seinem 
Vater Abschied genommen. Er zog die Hand, die dieser ihm reichte, 
über die Tafel hin an sich, bedeckte sie mit Küssen; einmal in dieser 
Stimmung ging er dann zu ihm, umfaßte seinen Hals, warf sich 
auf seinen Schoos. Von den Anwesenden war Keiner, der ihre Stim- 
mung gegeneinander nicht gekannt hätte; die einen riefen dem Prinzen 
ein Lebehoch zu: andern traten die Thränen in die Augen: „schon 
gut“, sagte der König, „schon gut, werde du nur ein ehrlicher Kerl“). 
Abends in der Tabaksgesellschaft erwähnte man diesen Vorfall nicht; 
auch erschien der Prinz nicht, doch hat man den König niemals ver- 
Znügter gesehen. 
Dennoch soll es Leute gegeben haben, welche ihm sagten, es sei 
alles Verstellung. 
Nur zu bald kehrten die alten Mißverständnisse wieder. In 
einer Instruction, die der König im März 1729 dem Oberst Rochow 
ertheilte ), der den Prinzen als Gesellschafter und Freund begleiten 
sollte, zwiederholt er seine alten Klagen: der Prinz habe keine Nei- 
gung zu soliden Dingen, denke nur auf faule Beschäftigungen, halte 
nichts auf seinen Leib, habe Hoffart im Kopf, hinter der nichts sei: 
der Oberst solle alles Mögliche thun, um einen braven Kerl und 
honnetten Offizier aus ihm zu machen; wolle es dann nicht anschlagen, 
so müsse man es als ein Unglück ansehen. 
Seinerseits dagegen nahm Friedrich gern diejenigen in Schutz, 
welche in Strafe verfielen: er bezeigte denen Verachtung, die beim 
König gut standen. 
1) Schreiben von Suhm 21. October 1728 im Dresdner Archiv. — Als 
der König im Juni 1728 nach Preußen ging, gab er Kalkstein auf dessen 
Bitte eine neue Instruction, worin die Gesellschaft des Prinzen bestimmt, der 
Unterricht des Ingenieurs, Major Senning, für früh und Nachmittog fest- 
gesetzt wird (16. Juni). Nach der Rückkunft des Königs bat Kalkstein, sowohl 
für sich als fÜür Finkenstein, um den Abschied. Im Frlihjahr 1729 trat Rochow 
bei ihm ein. 
2) „Instruction vor den Obristlieutenant von Rochow der bei meinem 
ältesten Sohn Friedrich sein soll, ihm Gesellschaft zu leisten, als ein guter 
Freund (17. März).
	        
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