90 Fünftes Buch. Viertes Capitel.
geborenen Sinn, aber durch den Gebrauch der Tafel fortgerissen, trank
er mehr als gewöhnlich; er sprach so laut, daß man ihn über den
Tisch hörte und die Königin ängstlich wurde, was den Prinzen nicht
abhielt, die Ergießungen über seine Leiden fortzusetzen; nur so oft er
seinen Vater ansah, fühlte er sich darin gestört und unterbrach sich
mit den Worten: „Ich liebe ihn dennoch.“ Die Königin war weg-
gegangen; der Prinz wollte nicht gehen, ehe er nicht von seinem
Vater Abschied genommen. Er zog die Hand, die dieser ihm reichte,
über die Tafel hin an sich, bedeckte sie mit Küssen; einmal in dieser
Stimmung ging er dann zu ihm, umfaßte seinen Hals, warf sich
auf seinen Schoos. Von den Anwesenden war Keiner, der ihre Stim-
mung gegeneinander nicht gekannt hätte; die einen riefen dem Prinzen
ein Lebehoch zu: andern traten die Thränen in die Augen: „schon
gut“, sagte der König, „schon gut, werde du nur ein ehrlicher Kerl“).
Abends in der Tabaksgesellschaft erwähnte man diesen Vorfall nicht;
auch erschien der Prinz nicht, doch hat man den König niemals ver-
Znügter gesehen.
Dennoch soll es Leute gegeben haben, welche ihm sagten, es sei
alles Verstellung.
Nur zu bald kehrten die alten Mißverständnisse wieder. In
einer Instruction, die der König im März 1729 dem Oberst Rochow
ertheilte ), der den Prinzen als Gesellschafter und Freund begleiten
sollte, zwiederholt er seine alten Klagen: der Prinz habe keine Nei-
gung zu soliden Dingen, denke nur auf faule Beschäftigungen, halte
nichts auf seinen Leib, habe Hoffart im Kopf, hinter der nichts sei:
der Oberst solle alles Mögliche thun, um einen braven Kerl und
honnetten Offizier aus ihm zu machen; wolle es dann nicht anschlagen,
so müsse man es als ein Unglück ansehen.
Seinerseits dagegen nahm Friedrich gern diejenigen in Schutz,
welche in Strafe verfielen: er bezeigte denen Verachtung, die beim
König gut standen.
1) Schreiben von Suhm 21. October 1728 im Dresdner Archiv. — Als
der König im Juni 1728 nach Preußen ging, gab er Kalkstein auf dessen
Bitte eine neue Instruction, worin die Gesellschaft des Prinzen bestimmt, der
Unterricht des Ingenieurs, Major Senning, für früh und Nachmittog fest-
gesetzt wird (16. Juni). Nach der Rückkunft des Königs bat Kalkstein, sowohl
für sich als fÜür Finkenstein, um den Abschied. Im Frlihjahr 1729 trat Rochow
bei ihm ein.
2) „Instruction vor den Obristlieutenant von Rochow der bei meinem
ältesten Sohn Friedrich sein soll, ihm Gesellschaft zu leisten, als ein guter
Freund (17. März).