Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

Feldzug in Sachsen. 201 
Vorkehrungen zum Trotz, doch einige Kunde durchdrang, Bedenklich- 
keiten. Die Meisten glaubten, Mangel an Lebensmitteln im Innern 
der Provinz oder die Absicht, im nächsten Frühjahr sogleich bei der 
Hand zu sein, werde sie dazu veranlaßt haben; der Prinz von An- 
halt hielt aber doch für gut, das ihm anvertraute schlesische Heer 
nicht in die Winterquartiere auseinandergehen zu lassen. 
Weitere Vermuthungen erweckte das Vorrücken des Generals 
Grüne nicht nach Böhmen, sondern nach dem Voigtlande. 
Recht eigentlich aufmerksam aber ward Friedrich erst bei der er- 
wähnten Erklärung des Russischen Hofes. Gehe nicht der Gedanke 
seiner beiden Nachbarn vielleicht dahin, ihn von der Lausitz her in 
Schlesien anzufallen, um ihn, wenn sie geschlagen und durch die Lausitz 
verfolgt würden, in Feindseligkeiten mit Rußland zu verwickeln? „Der 
Gedanke“, ruft er aus, „wäre nicht so übel, allein, bei Gott, ich 
werde berechtigt sein, meine Feinde überall zu verfolgen, wo ich sie 
finde.“ Podewils erklärte dem Fürsten Woronzow, der in jenen Tagen 
in Berlin anwesend war, daß, wofern der König von der Lausitz her 
angegriffen werde, Niemand etwas dagegen haben könne, wenn man 
einen Feind, der ihm Schlesien entreißen wolle, daselbst aufsuche. 
Von einem staatsrechtlichen Unterschiede zwischen seinen alten und 
seinen neuen Provinzen wollte Friedrich nichts hören. 
Noch war aber Alles ein mehr oder minder unbestimmtes 
Vermuthen. Die Augen gingen dem König erst auf, als ein paar 
schwedische Diplomaten, die sich seit jener Heirath seiner Schwester 
mit besonderer Vorliebe ihm angeschlossen, ihm von den umfassenden 
Plänen, die ihnen zufällig, aber sicher, aus Brühls eigenen Andeu-- 
tungen, zur Kunde gekommen, Nachricht gaben. 
Auf den ersten Blick hätte Niemand daran glauben sollen. Es 
ließ sich kaum denken, daß ein sächsischer Minister die Unbesonnenheit 
haben sollte, sein eigenes Land der Gefahr auszusetzen, der Schau- 
platz eines heftigen Krieges und seiner Verwüstungen zu werden. 
Weder Podewils noch selbst der alte Fürst von Dessau, der sonst 
gegen Sachsen so leicht in Feuer gerieth, waren davon zu überreden 1). 
Auf Friedrich aber machte das Zusammentreffen so vieler heterogener 
Bewegungen, die durch eine Annahme wie jene plötzlich Licht bekamen, 
den Eindruck der Gewißheit. Er empfand in die Seele des sächsischen 
Ministers die ganze Verantwortung, die derselbe auf sich nahm; sein 
1) Aeltere Redaction der Memoiren: Le prince d'Anhalt me répondit 
sechement: cela n’est pas vrai, cela n'est pas possible.
	        
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