Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

242 Zwölftes Buch. Drittes Capitel. 
lieber auf Leibesstrafe als auf Geldstrafe erlennen solle, — der Grund 
ist, daß die Stadtgerichte hauptsächlich den Armen zur Last fielen, 
und der König nicht die ganzen Familien zu Grunde richten lassen 
wollte. Auf dem Lande hatten die königlichen Amtleute die Justiz- 
verwaltung mitgepachtet, und man kann denken, wie sehr sie nun auf 
ihren Nutzen sahen. Sie versäumten großentheils, was ihnen befohlen 
war, das Recht durch einen verpflichteten Justitiarius ausüben zu 
lassen; in einem Gutachten der Zeit wird versichert, daß es in der 
Neumark nicht einen einzigen verpflichteten und rechtskundigen Gerichts- 
verwalter gebe. Die für Kaufbriefe oder Trauscheine herkömmlichen 
Sporteln wurden willkürlich erhöht !), und wehe dem, der sich dagegen 
setzte; ihr Stock, ruft der Verfasser jenes Gutachtens aus, das ist ihr 
Corpus juris. Nicht besser war es in Preußen. Die Hauptleute 
pflegen ungelehrte und blutarme Verweser zur Rechtspflege zu setzen;: 
unkundige Gerichtsschreiber waren ihnen beigegeben; die einen und die 
andern, heißt es in einem Berichte aus Preußen, leben vom Raube. 
So die meisten Untergerichte; aber auch die oberen ließen un- 
endlich viel vermissen. Das Hauptübel lag darin, daß sie von schlecht- 
besoldeten Räthen, die von Nebenverdiensten leben mußten, überfüllt 
waren. Eine große Rolle spielten sogenannte Procuratoren, ungelehrte 
Menschen, von denen viele einst Lalaiendienste gethan, die sich der 
Einleitung der Processe bemächtigten. Sie pflegten, wenn sie die 
Klagen einreichten 2), zugleich denjenigen von den Räthen zu bezeichnen, 
dem die Sache als Referenten übertragen werden sollte und auf den 
sie hiedurch einen gewissen Einfluß erlangten. Die Acten blieben in 
den Häusern der Räthe liegen; eine Menge unerledigter Supplicationen 
fanden sich beim Botenmeister. 
Nun gab es zwar ein höchstes Amt zur Beaussichtigung der 
Rechtspflege, den geheimen Justizrath, der einen Theil des Staats- 
raths bildete; auch hielt dieser seine Sitzungen regelmäßig, und an 
einlaufenden Beschwerden fehlte es nicht; aber er ward hauptsächlich 
aus den Präsidenten der Gerichtshöfe zusammengesetzt, in welchen die 
Urtel gesprochen waren; man begreist, wenn dann den Beschwerden 
nicht sehr eifrig nachgefragt, noch ihnen abgeholfen wurde. 
1) Ein Gutachten in den Acten sagt, daß man sich für einen Trauschein 
statt 6 Gr. habe 15 Thlr. zahlen lassen. 
2) Cocceji sagt, der Advocat sei bei der mündlichen Verhandlung häufig nicht 
im Stande, einen vernlnftigen Vortrag zu thun: er provocire ad acta, oder 
sordere Dilation. (Bericht an die Stände, 30. October 1747.)
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.