Full text: Leopold von Ranke's sämmtliche Werke. 29. Band. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. (29)

86 Zehntes Buch. Sechstes Capitel. 
Daran knüpfte nun Friedrich, der so eben die größeren historischen 
Schriften Voltaires — den Versuch über die Sitten und den Geist 
der Nationen, das Jahrhundert Ludwigs XIV, die noch ungedruckt 
ihm in einzelnen Heften zugingen — studirte und ihn mehr als je 
bewunderte, die Hoffnung und den Wunsch, ihn in seine Nähe zu 
ziehen. Was könne ihn an Paris fesseln, wo die fromme Ignoranz 
über Geschicklichkeit und Talent triumphire; nicht immer werde das 
leichtfertige Publikum ihm Beifall klatschen; er möge nach Berlin 
kommen, wo er vollkommen erkannt und bewundert werde, und zwar 
auf immer; da solle sein Vaterland sein; er möge nur seine Be- 
dingungen machen und fordern; was ihm zum Genuß und Glück des 
Lebens zu gehören scheine, dafür solle gesorgt werden, und doch solle 
er frei bleiben: nur durch Freundschaft und Wohlbefinden solle er sich 
gebunden fühlen. 
Ganz andere Gedanken aber hegte Voltaire: er gab dem Wunsche 
Raum, aus den Kreisen der Literatur hervorzutrelen und eine politische 
Rolle zu spielen. Die Verwaltung der geistlichen Angelegenheiten, die 
jetzt dem Bischof von Mirepoix zugefallen war, erregte zwar seinen 
Unwillen, zumal da er eben diesem das Fehlschlagen seiner akademischen 
Bewerbung zuschrieb; dagegen schloß er sich um so mehr den andern 
Ministern an, die ihm wohlwollten. Vom Haag, wohin er sich zu- 
nächst begab, schickte er ihnen Nachrichten, Abschriften von Depeschen, 
die dort häufig in Umlauf gesetzt wurden, die Etats der Truppen 
der Republik, und versäumte nicht, auch eigene Päne vorzulegen. 
Indem ihn der König von Preußen als literarischen Freund bei sich 
zu sehen wünschte, um in seiner Gesellschaft die Geschäfte zu ver- 
gessen, bat sich Voltaire, das Vertrauen benutzend, das ihm Friedrich 
bewies, politische Aufträge an denselben aus. Wie einst Prior zwi- 
schen Frankreich und England, so hoffte Voltaire als der Ver- 
mittler zwischen Frankreich und Preußen zu glänzen 1). Wirklich 
gab ihm Amelot, wenn gleich kein Beglaubigungsschreiben, aber doch 
Aufträge. 
Voltaire erschien Anfang September 1743 in Berlin, halb als 
Diplomat; er stellte dem König vor, daß Franlreich kräftiger sei, als 
er denke: daß Preußen von England und von Oesterreich nichts als 
neue Angriffe zu erwarten habe; daß in Holland eine starle friedliche 
1) Schreiben an Amelot, 16. Aug. LIV, 567. Der König drückt sich in 
dem Entwurf seiner Memoiren so aue, daß man wohl sieht, er wußte darum. 
Spöäter mochte ihm die Sache verschwunden sein.
	        
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