198 Hessen.
erforderlich. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsi-
denten der Zweiten Kammer.
Art. 76 10. Gesetzes-Entwürfe können nur von dem Großherzoge
an die Stände, nicht von den Ständen an den Großherzog gebracht
werden. Die Stände können aber, im Wege der Petition, auf neue
Gesetze, so wie auf Abänderung oder Aupfhebung der bestehenden antragen.
Art. 77. Aushebungen zur Vermehrung der Truppen über die
Bundespflicht hinaus können nur durch ein Gesetz bestimmt werden,
unbeschadet jedoch des Rechts der Staatsregierung, in dringenden Fällen
die zur Sicherheit und Erhaltung des Staats nothwendigen Vorkehrungen
zu treffen.
Art. 78. Die gesammte Staatsschuld, welche ohne ständische Ein-
willigung nie vermehrt werden kann, ist als solche durch die Verfassung
garantirt. Die Art und Weise ihrer Zurückzahlung bestimmt das Schulden-
tilgungsgesetz.
Art. 79. Die Kammern haben das Recht, dem Großherzoge alles
dasjenige vorzutragen, was sie, vermöge eines übereinstimmenden Be-
schlusses, für geeignet halten, um als eine gemeinschaftliche Beschwerde,
oder als ein gemeinschaftlicher Wunsch an Ihn gebracht zu werden.
Art. 80. Insbesondere haben auch die ständischen Kammern die
Befugniß, auf die in dem vorhergehenden Artikel bestimmte Art die-
jenigen Beschwerden an den Großherzog zu bringen, welche sie sich gegen
das Benehmen der Staatsdiener aufzustellen bewogen finden könnten.
Art. 812). Einzelne und Corporationen können sich nur dann an
die ständischen Kammern wenden, wenn sie in Hinsicht ihrer individuellen
Interessen sich auf eine unrechtliche oder unbillige Art für verletzt oder
gedrückt halten, und wenn sie zugleich nachzuzeigen vermögen, daß sie
die gesetzlichen und verfassungsmäßigen Wege, um bei den Staats-
behörden eine Abhülfe ihrer Beschwerden zu erlangen, vergeblich ein-
geschlagen haben.
Eine solche Petition kann den Ständen, wenn sie dieselbe nicht als-
bald, oder nach der ihnen von dem Geheimen Staats-Ministerium, oder
den Landtags-Commissarien ertheilten Auskunft, als ungegründet ver-
werfen, Veranlassung geben, von der in den vorhergehenden Artikeln
ausgesprochenen Befugniß der Beschwerdeführung Gebrauch zu machen.
Ein Petitionsgesetz der Einzelnen und der Corporationen in Hinsicht
allgemeiner politischer Interessen, welche zu wahren blos den Ständen
gebührt, findet nicht statt und eine Vereinigung Einzelner oder ganzer
Corporationen für einen solchen Zweck ist gesetzwidrig und strafbar.
Art. 1. Der Artikel 81 der Verfassungs-Urkunde ist hinsichtlich aller
darin enthaltenen Beschränkungen des Petitionsrechts aufgehoben.
Art. 2. Das Recht der Versammlungen zur Berathung über
allgemeine politische oder Privat-Interessen kann frei ausgeübt werden.
15 Die Art. 76, 85, 86, 88, 92, 93, 98 und 100 sind aufgehoben, soweit sie der Geschäfts-
ordnung vom I7. Juni 1874 widersprechen.
*) Art. 81 wurde durch das ihm angehöngte Gesetz vom 16. März 1848 Art. 1 und 2
stark modifiziert.