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* 105. Alle Landesangehörigen sind bei ihrer Aufnahme in das
Bürger= und Gemeinderecht verbunden, folgenden Eid zu leisten:
„Ich schwöre Treue dem Landesfürsten, Gehorsam dem Gesetze
und Beobachtung der Landesverfassung.“"
* 106. Jeder Staatsdiener haftet für die Gesetz= und Verfassungs-
mäßigkeit seiner amtlichen Thätigkeit.
§ 107 1). Die von dem Landesherrn in Bezug auf die Regierung
und Verwaltung des Staates ausgehenden Anordnungen und Ver-
fügungen hat zum Zeichen, daß die betreffende Angelegenheit auf ver-
fassungsmäßige Weise behandelt worden sei, ein Mitglied des Ministeriums
zu kontrasigniren, und es ist der Kontrasignirende für die Verfassungs-
und Gesetzmäßigkeit des Inhalts persönlich verantwortlich.
Durch die gedachte Kontrasignatur erhalten solche Anordnungen und
Verfügungen allgemeine Glaubwürdigkeit und Vollziehbarkeit.
Diese rechtliche Folge ist ohne Ausnahme sowohl für die Gerichte,
als für alle andere Staatsbehörden maßgebend, so daß nur der Landes-
vertretung vorbehalten bleibt, im Betreff der Frage über die Rechts-
beständigkeit erlassener Verordnungen mit der Regierung in Verhand-
lung zu treten.
Die obenerwähnte Verantwortlichkeit kann durch Befehle des Fürsten
nicht aufgehoben oder vermindert werden.
10 8,. Die Volksvertretung ist befugt, diese Verantwortlichkeit durch
Beschwerde oder durch förmliche Anklage geltend zu machen.
5 109. Unerlaubte Handlungen oder Versehen und Nachlässigkeiten
der unteren Staatsdiener können der Volksvertretung zur Ausübung
dieses Rechtes nur dann Veranlassung geben, wenn deshalb bei der
zuständigen höheren Behörde und zuletzt beim Ministerium vergebens
Klage geführt worden und dieses eben dadurch, daß solches vergeblich
gewesen, sich selbst einer Pflichtwidrigkeit schuldig gemacht hat.
5 110. Nur Beschwerdeführung, nicht förmliche Anklage ist gegen
eine höhere Behörde zulässig, wenn die Unzweckmäßigkeit einer Ver-
ordnung oder anderen Maßregel die Volksvertretung zum Gebrauche
ihres Rechtes auffordert; förmliche Anklage dagegen findet Statt, wenn
eine absichtliche Verletzung der Verfassung in Frage stehet.
* 111. Ist die Beschwerde erhoben, so wird der dadurch betroffene
Staatsdiener oder die betroffene Behörde mit Verantwortung gehört.
Ist diese nicht ausreichend, vielmehr die von der Volksvertretung
erhobene Beschwerde ganz oder zum Theil begründet, so erfolgt Landes-
fürstlicher Seits die Anweisung zur Verbesserung des Fehlers, zur Ab-
stellung des Mangels, zur Aufhebung des Mißbrauchs, unbeschadet der
einzuleitenden förmlichen Untersuchung, wenn sich bei weiterem Ein-
gehen in die Sache gröbere Vergehen hervorthun.
5 112. Der Volksvertretung ist von dem Erfolge ihrer Beschwerde-
führung jedesmal Kenntniß zu geben.
1) Vgl. Anmerkung zum 2. Abschnitt.