352 Jaos Venutsche Reich und seine eintelnen Glieder. (September 24.—30.)
24.—28. September. (Berlin.) Krawalle in Moabit.
Infolge von Ausschreitungen der streikenden Kohlenarbeiter gegen
die Arbeitswilligen der Firma Ernst Kupfer & Co. kommt es in Moabit
zu schweren Zusammenstähen der Menge mit Schutzleuten und Kriminal-
beamten. Auch einige ausländische Journalisten, die sich zur Beobachtung
einfanden, werden von der Polizei mißhandelt.
25. September. Abbehr der kons. Partei vom Antisemitismus.
Die „Kreuz-Ztg.“" schreibt in ihrer Uebersicht über die innere Politik
der Woche: „Soweit der Evangelische Bund sich zum Schutz des evangelischen
Glaubensinhaltes unfrer Kirche auf unsere Seite stellt, werden wir ihn als
Bundesgenossen schätzen und ehren; aber die Erregung konfessioneller Leiden-
schaften mißbilligen wir überall. Die konservative Partei hat sich in ihrer
großen Mehrheit ja auch davon überzeugt, daß sich der antisemitische Passus
ihres Programms praktisch nicht mehr rechtfertigen läßt. Sind doch auch
im Judentume konservative Kräfte lebendig und wirksam, wie uns die er-
freuliche Tätigkeit zahlreicher jüdischer Männer im praktischen Leben, in
Wissenschaft und Kunst täglich zeigt, während die im Judentume so auf-
fallenden destruktiven Kräfte sich leider in reichem Maße auch bei rassereinen
Deutschen entwickelt haben. So soll uns vollends der Katholik als Staats-
bürger, als Mensch und als Christ nicht von vornherein Gegenstand des
Mißtrauens sein, sondern wir wollen seine Mitarbeit „in echt nationalem
Geiste zum Segen des Vaterlandes“ willkommen heißen, wo wir sie finden.“
Der hierin zitierte „antisemitische Passus“ findet sich im sogenannten Tivoli-
programm der konservativen Partei vom Dezember 1892 und lautet: „Wir
bekämpfen den vielfach sich vordrängenden und zersetzenden jüdischen Ein-
fluß auf unser Volksleben. Wir verlangen für das christliche Volk eine
christliche Obrigkeit und christliche Lehrer für christliche Schüler.“
26. September. (Berlin.) Der Teltower Kreistag über-
nimmt die Zahlungsgarantie, die der Militärfiskus für den von
Tempelhof für das Tempelhofer Feld zu zahlenden Kaufpreis fordert.
Nur der sozialdemokratische Stadtverordnete von Cöpenick Herbst
stimmt dagegen. Die Gemeinde Tempelhof hat mit der Deutschen Bank
einen Vertrag abgeschlossen, durch die sie alle Leistungen von sich abwälzt,
dagegen eine Gewinnbeteiligung an dem Verkauf des Geländes in Höhe von
15 Prozent, mindestens 2 Millionen Mark, erhält.
26. September. Reichstagsstichwahl in Frankfurt-Lebus.
Faber (Sd.) wird mit 15797 gegen Winter (Nl.) mit 15625 Stim-
men gewählt.
27. September. (Reichstag.) Die Justizkommission beendet
die erste Lesung des Entwurfs einer neuen Strafprozeßordnung.
30. September. (Posen.) Einweihung des Stadttheaters.
30. September. Abg. Bassermann veröffentlicht in der „National-
-Ztg.“ einen Aufsatz „Unser Programm“.
Darin heißt es: „Die Lage ist nicht unbedenklich. Die verfehlte
und unsoziale Reichsfinanzreform hat unsagbare Verwirrung über Deutsch-
land gebracht, das Volk zahlt in seinem verletzten Gerechtigkeitsgefühl bei
den Wahlen heim, und die Zahl der sozialdemokratischen Siege bei den
allgemeinen Neuwahlen ist nicht zu berechnen. Die Gärung ergreift auch