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schafft die Majorität. Es ist nicht nötig zu beweisen, dass bei
derselben Bevölkerung ein ganz anderes Wahlresultat herauskommt,
je nachdem die Bedingungen des Wahlrechtes andere sind, je
nachdem man die Wähler gliedert, ob man sie in einen Wahl-
körper zusammenfasst oder in mehrere scheidet und in welche,
ob man Viril- oder Pluralstimmen giebt, wie man die Bezirke
abgrenzt, wie viele Abgeordnete man den einzelnen Gruppen und
Bezirken einräumt, ob man öffentlich oder geheim, unmittelbar
oder durch Wahlmänner stimmen lässt u. s. w. u. s. w. Die Wahl-
ordnung bestimmt die Wöählerschaft, sie bestimmt auch die Be-
rechnungsweise. Sie kann daher leicht die Minorität zur Majorität
machen: Die Minorität der Bevölkerung zur Majorität der Wähler,
die Minorität der Wähler zur Majorität der Zähleinheiten. Lassen
wir von 10000 volljährigen Menschen im Bezirke durch den
Zeensus nur 3000 das Wahlrecht geben, lassen wir diese in drei
Wahlkörper mit gleichem Einfluss auf die Wahl einreihen, von
denen der erste Wahlkörper 100, der zweite 500, der dritte die
übrigen Wähler umfasst, so gilt die Wahl von 600 als Ausdruck
des Willens der 10000. Zwingen wir die Wähler, die mit der
Existenz ihrer Familien von ihrem Arbeitgeber abhängig sind,
zur offenen Wahl, und sie müssen den letzteren oder seinen
Kandidaten wählen*. Geben wir einem adeligen Wahlkörper, der
50 Mitglieder zählt, dieselbe Abgeordnetenzahl wie dem Wahl-
körper des Proletariats mit 50000 Mitgliedern, und die Parlaments-
majorität wird durch den Adel bestimmt werden.
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* Das Klosettgesetz im Deutschen Reich war daher sehr wirkungsvoll.
° Die Wirklichkeit ist oft brutaler, als das oben gegebene Schema. In
Oesterreich entfiel beider Wahl im Jahre 1901 ein Abgeordneter des Gross-
grundbesitzes durchschnittlich auf 64 Wähler, ein Abgeordneter der Kurie
des allgemeinen Stimmrechtes durchschnittlich auf 69503. Aber noch mehr!
Der feudale Grossgrundbesitz in Böhmen besteht aus 14 Mitgliedern und
wählt fünf Abgeordnete; auf einen Abgeordneten entfallen daher nicht völlig
drei Wähler. Vgl. auch GEeore MEYER, „Das parlamentarische Wahlrecht“
S. 441, 569, 621 u.a.
Archiv für öffentliches Recht. XVIIL. 2. 16