160 Das öffentliche Sachenrecht.
voll geworden für die Lehre von der öffentlichen Sache überhaupt
und vom Gemeingebrauch insbesondere.
Daß die Entschädigungspflicht hier nicht auf die gewöhnlichen
Bestimmungen über unerlaubte Handlungen und über Haftung für
Sachen gestützt werden könne, darüber war es nicht schwer klar
zu werden. Man sah sich genötigt, zu anderen Formen des bürger-
lichen Rechts zu greifen. Eine Zeitlang arbeitete man mit der An-
nahme eines Vertrags, zivilrechtlicher Natur selbstverständlich,
durch welchen die Entschädigungspflicht geradewegs übernommen
worden wäre. Er soll abgeschlossen worden sein zwischen dem
Herrn der Straße, Staat oder Gemeinde, einerseits und dem An-
lieger andererseits: dieser wird eingeladen, daß er bauen solle, und
zugleich wird ihm zugesagt, falls je einmal die Straße wegkäme
oder unbenutzbar würde für ihn, solle ihm der daraus erwachsende
Schade ersetzt werden. Das nannte man wohl ein „Garantie-
versprechen“. Es sollte auch für die Rechtsnachfolger wirken und
jedenfalls höchst stillschweigend abgeschlossen werden; denn daß
es jemals ausdrücklich geschähe, war nicht zu beobachten. Dieser
Vertrag hatte nur den einen großen Fehler, gänzlich unwahr zu
sein, wiederum eine der willkürlichen Fiktionen, wie sie auf den
unverstandenen Grenzgebieten des öffentlichen Rechts so gerne
wachsen ®8,
Man hat dann die nötige Rechtsgrundlage auf einem anderen
Gebiete gesucht. Die Enteignung sollte Anlehnung geben mit
der bei ihr zur Ausbildung gelangten Entschädigungsgewährung.
Man verallgemeinerte dies zu einem ausgedehnteren Rechtsgrundsatz,
berief sich auf die Rechtsähnlichkeit oder auf ein entsprechendes
Gewohnheitsrecht®®. Damit wäre man ja glücklich auf das Gebiet
des öffentlichen Rechts gelangt, auf welchem die Anlieger-
entschädigung in gutem Gleichklang mit der soeben erwähnten für
Nachteile aus der Ausübung des Gemeingebrauchs sich vereinigen
würde. Denn daß die Enteignungsentschädigung und was ihr nach-
—
*® Für ein derartiges stillschweigendes Garantieversprechen Bekker, Pand.
3.346, und die dort angeführte Entscheidung in Seuff. Arch. XXII S, 144. Ander-
wärts. arbeitete man gar mit der Fiktion einer gegebenen cautio damni infecti.
Beispiele bei Ubbelohde, Glücks Pand. Bd. 43 u. 44 S. 183 ff.
”° So die viel angezogene Abhandlung von D reyer in Ztschft. £f. franz. Ziv.R.
IV 8.383 ff, („Analogie der Ersatzpflicht für Expropriation“). Wichtig vor allem
R.G. 1. Febr. 1898 (Entsch. XLI S. 145 f.: Ein „wahres Gewohnheitsrecht“ ; mag
auch „der sachliche Umfang des Gewohnheitsrechts zweifelhaft sein“... „Analoge
Anwendung der für die Enteignung bestehenden Entschädigungspflicht“)