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(27) II. Es ist zu unserer Kenntniß gekommen, daß in einer Forderungssache
einer Ortsgemeinde gegen eine Privatperson vor dem Bürgermeister dieser
Gemeinde in seiner Eigenschaft als erwählter Friedensrichter eine Sühne-
verhandlung nach Maßgabe des Gesetzes vom 9. März 1875, die Einführung
von Friedensrichtern betreffend, stattgefunden hat und sodann auf Grund des
vor dem Friedensrichter abgeschlossenen Vergleichs die Einleitung des Hilfs-
vollstreckungsverfahrens bei dem zuständigen Gericht beantragt worden ist.
Es giebt uns dieser Fall Veranlassung, die Friedensrichter des Groß-
herzogthums darauf hinzuweisen, daß, wenn auch das angezogene Gesetz vom
9. März 1875 die Wirksamkeit des Friedensrichters in Angelegenheiten, bei
denen er selbst als Partei oder Vertreter einer Partei bethei-
ligt ist, nicht ausdrücklich ausschließt, doch einerseits eine der Absicht des
Gesetzes entsprechende freie und gedeihliche Entfaltung der friedensrichterlichen
Thätigkeit überall nur da zu erwarten steht, wo der Friedensrichter an der be-
treffenden Rechtsangelegenheit nicht durch ein unmittelbares Privatinteresse —
sei es für seine eigene Person, sei es als berufener Vertreter der einen oder
anderen Partei — betheiligt ist, und daß andererseits, wenn eine solche Be-
theiligung des Friedensrichters bei der vor ihm in gütliche Verhandlung ge-
zogenen Rechtsangelegenheit vorhanden ist, die später etwa nöthig werdende
gerichtliche Mitwirkung zur Ausführung des vor dem Friedensrichter getroffe-
nen Abkommens auf Schwierigkeiten und Bedenken stoßen kann.
Die Friedensrichter werden sich daher in Fällen, wo es sich um die Ver-
folgung eines ihnen selbst für ihre Person oder für eine von ihnen vertretene
Person zustehenden Anspruchs handelt, einer Anrufung ihrer eigenen friedens-
richterlichen Thätigkeit zu enthalten, in dem umgekehrten Fall aber, wenn ihre
friedensrichterliche Vermittelung wegen eines Anspruchs wider sie selbst oder
eine von ihnen vertretene Person als in Anspruch genommenen Theil ange-
rufen werden sollte, den Antragsteller auf die Mißlichkeit und Bedenklichkeit
eines derartigen Versuchs hinzuweisen haben, wobei es ihnen gewiß leicht ge-
lingen wird, einen anderen Ausweg zur gütlichen Schlichtung der Rechtsirrung
(z. B. durch gemeinschaftliche Anrufung eines andern unbetheiligten Friedens-
richters) zu vereinbaren.
Weimar am 9. März 1876.
Großherzoglich Sächsisches Staats-Ministerium,
Departement der Justiz.
Stichling.
Weimar. — Hof-Buchdruder.