Annahnie der Verfassungsänderung und der Fattschen Gesetze. Proteste der Geistlichkeit. 85
Er erlenne in diesen Gesetzen nicht eine Erlänterung oder Abänderung der die Kirche be-
tresfenden Verfassungsparagraphen, sondern die angestrebte Vernichtung der in denselben ausge-
sprochenen Grundsätze, einen Eingriff in die wesentlichsten Rechte der christlichen Kirche, der nur
dahin ziele, den ganzen Organismus der Kirche zu zerstören. Wenn diese Bestimmungen Gesetzes-
kraft erlangten, würden sie ihn in unauflöslichen Konflikt mit seinem Eide bringen, daher werde
er unter keinen Umständen zur Ausführung dieser Gesetze jemals die Hand bieten.
Am 30. Januar folgte eine Denkschrift des gesamten preußischen Episkopates an
das Ministerium, welche „sörmliche und feierliche Verwahrung einlegte gegen alle, die
natürlichen und wohlerworbenen Rechte der katholischen Kirche und die Gewissens-
und Religionsfreiheit der Katholiken verletzenden Gesetzesbestimmungen“, und
„deren Beobachtung für jeden Bischof unvereinbar“ erklärte „mit den beschworenen
Amtspflichten“. In ihrer Gesamtadresse vom 5. Februar an das Abgeordnetenhaus
und Herrenhaus erklärten dieselben Bischöfe, „daß kein katholischer Christ ohne schwerste
Verletzung seines Glaubens diese Gesetze anerkennen oder sich ihnen freiwillig unter-
werfen könne“. Und in einer Adresse an den Kaiser vom 7. Februar behaupteten sie,
„daß die Gesetze solche Satzungen, welche zum eigentlichen Wesen der katholischen
Kirche gehörten, schwer verletzten“. Weit rücksichtsloser noch verfuhren einzelne
Bischöfe. Der Bischof Martin von Paderborn verglich in seinem Fastenbriefe die
gegen die Kirche gerichteten „Verfolgungen“ mit dem Leiden Christi; Herr Krementz
von Ermeland verglich sie mit den Bedrückungen der Juden im persischen Reiche. Die
Domkapitel von Breslau, Paderborn, Posen und Trier versicherten schriftlich und
mündlich, daß sie treu zu ihren Bischöfen stehen würden. Die ultramontane Presse,
„bis zur „Germania" herab“, wie Bismarck gesagt hatte, schlng die wildesten Töne
gegen die Regierung an. Dr. Jörg „konstatierte“ in seinen ultramontanen „Histo-
risch-politischen Blättern“: „daß Hilse und Rettung nur noch von unten“ kommen
könne! Auch die Schwarzen des protestantischen Lagers fanden sich mit düsteren
Weissagungen ein. Der evangelische Oberkirchenrat, welcher kurz zuvor den greisen
freisinnigen Prediger Sydow in Berlin seines Amtes entsetzt hatte, mochte fürchten,
daß die Tage solcher Ketzergerichte nun gezählt seien, und behauptete deshalb in einem
Protest an den Landtag, daß die Vorlagen „die evangelische Kirche in ihrem innersten
Lebensgebiete recht empfindlich schädigten“. Die dunkeln Uberzeugungen, welche sich
im „ständigen Ausschuß der evangelisch-lutherischen Landessynode der Provinz Han-
nover“ vereinigten, behaupteten in einem Schreiben an den König sogar, daß in diesen
Kirchengesetzen „alle christlichen Kirchen mit ihren Dienern nach Art gemeinverdäch-
tiger, gefährlicher Vereine und Personen behandelt werden“.
Im Volke selbst ergriff diese leidenschaftliche Gegnerschast und Feindseligkeit
gegen die Falkschen Gesetze jedoch nur einzelne Kreise. Die ultramontane Geistllichkeit
und Presse, welche der Regierung gegenüber namens des „treuen katholischen Volkes“
das große Wort führte und den äußersten Widerstand jedes einzelnen Katholiken an-
drohte, beklagte sich jetzt und im Laufe des ganzen Kulturkampfes oftmals bitter über
die stumpse Duldung der katholischen Massen, welche sich durch alle Verhetzung nicht
einmal zu thatsächlicher Empörung gegen das Gesetz aufreizen ließen. Dagegen er-