Das deutsce Reiqh und seine einseluen Glieder. (Juli 9.) 205
Einigung bringen, und soweit dieß erreicht ist, wie kann ich diese Einigung
befestigen, fördern und so gestalten, daß sie aus freiem Willen aller Mit-
wirkenden dauernd erhalten wird: Zu diesen Mitwirkenden rechne ich auch
die Regierungen, und es ist für Deutschland ein ganz außerordentlich großer
Vorzug im Vergleich mit andern Ländern unitarischer Verfassung, daß das
dynastische Element auch außerhalb Preußens eine Gewalt hat, die zu den
Stützen der Ordnung gezählt werden muß, und die wir, wenn wir das Land
unitarisch zerreißen wollten, durch keine andere gleich starke Bindekraft würden
ersezen können. Ich verlange nicht dieselbe Ueberzeugung von Jedemz ich will
nur darlegen, wie ich zu dieser Stellung komme. Als wir aus dem Kriege
1866 zurückkamen, wäre es ja für mich in der Stellung, die ich damals,
persönlich in den einzelnen Kreisen einflußreicher als heute, einnahm, sehr
leicht gewesen, ja, ich habe sogar mit einiger Mühe mich Dessen zu erwehren
gehabt, zu sagen: jetzt ist Preußen größer geworden, die Verfassung ist dafür
nicht berechnet, wir müssen sie neu vereinbaren, kurz, die kühnste und ein-
schneidendste Neactionspolitik mit dem Erfolg, der noch von niggräh in
den Dingen klebte, mit Segen treiben. Sie wissen, * ich das Gegentheil
gethan, und daß ich mir dadurch zuerst die Abneigung eines großen Theils
meiner politischen Freunde zugezogen habe, und es hat mich schwere Kämpfe
gekoslet, das Gegentheil, die Indemnität, das Fortsetzen des constitutionellen
Systems durchzuführen. Habe ich Das aus Liebe zum constitutionellen System
Heihan Ich will mich nicht besser machen, als ich bin: das muß ich ganz
estimmt verneinen. Hätte ich — ohne daß ich deßhalb ein Gegner des
Systems bin, im Gegentheil, ich halte es für die einzig mögliche Regierungs-
form — geglaubt, daß eine Dictatur, ein Abfolutismus in Preußen der
Förderung des deutschen Einheitswerkes nützlicher gewesen wäre, so würde
ich unbedingt dazu gerathen haben. Aber ich habe mich nach sorgfältigem
stachdenken — und ich habe schwere und mir theure nahestehende Einflüsse
zu bekämpfen gehabt — dafür entschieden: nein, wir müssen auf der Bahn
des Verfassungsrechts weiter gehen, was außerdem meinen inneren Empfind-
ungen und der Ueberzeugung von der Gesammtmöglichkeit der Politik mehr
entspricht. Das Entgegenkommen, das ich damals für die mir versöhnten
Gegner gehabt babe, und das in meiner, vielleicht fehlerhaft angelegten Natur
nach der Versöhnung wohl etwas überfließend sein mochte, hat mir also zuerst
die Vorbereitung zu dem damaligen Bruch mit der conservativen Partei zu-
gezogen. Es entstand dann für mich wesentlich aus den Beziehungen der
Aten. Frage zur politischen der Conflict über die kirchlichen Angelegen-
heiten. Dieser Kampf beraubte mich der natürlichen Unterstützung der con-
servativen Partei, auf die ich Smäte rechnen können, und die Wege, die ich
zum Ausbau und zur praktischen Belebung der deutschen Reichsverfassung
gehen mußte, wären wahrscheinlich andere geworden, wenn die conservative
Partei mich nicht im Stich gelassen hätte. Ez kam dazu der Kampf, den
ein augenblickliches Hochblühen einer tausendjährigen Streitfrage zwischen
Staat und Kirche, zwischen Kaiser und Papst, in unserer Geschichte, die stets
die Elemente dazu enthielt, hervorrief. Ich habe in diesem Conflicte mit der
Lebhaftigkeit gekämpft, die mir boffentlich in allen Sachen, wo es sich nach
meinem Bewußtsein um das Wohl meines Vaterlandes und um die Rechte
meines Königs handelt, so lange ich lebe, auch eigenthümlich bleiben wird;
aber ich muß auch hier sagen: ich halte, Conflicte durchzukämpfen, wohl unter
Umständen für tapfer, sie sind aber keine auf die Dauer zu erstrebende In-=
stitution, und wenn sich Mittel und Wege bieten, die Schärfe der Gegensätze
zu mildern, so daß man an die Principien der eigentlichen Streitfrage über-
haupt noch nicht rührt, daß man sich gegenseitig kennen lernt, daß man durch
gemeinsames Arbeiten an einem gemeinsamen und hohen Zwecke sich gegen-