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Osterreich, das 1774 auch die Bukowina annek-
tierte, 1697 Dalmatien an Venedig, 1702 Asow,
1771/74 die Krim und den Nordrand des
Schwarzen Meeres, 1792 die Gebiete jenseits des
Dnjestrs und Kubans, 1812 Bessarabien an Ruß-
land. Diese Macht betrachtete sich seit dem
18. Jahrh. als legitime Erbin Ostroms und
Schutzherrin der orthodoxen Untertanen, die sie
gegen den Sultan aufzuwiegeln begann. Ein nicht
gerade gefährlicher, aber sehr unbequemer Nach-
bar war Persien schon seit Selim II. Seit dem
Beginn des 19. Jahrh. begannen die christlichen
Balkanvölker zu rebellieren, zuerst 1804 die Ser-
ben, 1821 die Griechen. Die Pforte mußte 1829
auf Griechenland verzichten, den Donaufürsten-
tümern größere Selbständigkeit einräumen, 1830
Serbien als erbliches Fürstentum und 1832 die
Autonomie von Samos anerkennen. Als 1833
Mehemed Ali von Agypten Syrien an sich riß,
schien das Reich dem Untergang nahe, wurde aber
durch Rußland gerettet, das dafür im Vertrag von
Hunkijar Skelessi die Schutzherrschaftund Vormund-
schaft über die Türkei sich anmaßte. Bei den an-
dern Mächten, besonders England, wurde jedoch
die Erhaltung der Türkei zum politischen Axiom,
weil sonst ihr Erbe zu gefährlich wurde, und so
verdankte die Pforte der Quadrupelallianz 1840
die Rückeroberung Syriens und die Aufhebung des
Vertrags von Hunkjar Skelessi; im Dardanellen-
vertrag vom 13. Juli 1841 wurde sie in das
Konzert der Mächte ausgenommen und erreichte
die internationale Anerkennung ihrer Forderung,
daß der Weg zwischen dem Schwarzen und Agäi-
schen Meer für alle nichttürkischen Kriegsschiffe ge-
sperrt bleiben sollte. Als Rußland unter dem Vor-
wand, die Interessen der orthodoxen Christen zu
beschützen, den Fortbestand des Reichs bedrohte,
wurde es durch die Westmächte gerettet (Krim-
krieg). Der Pariser Friede vom 30. März 1856
garantierte der Türkei ihre Unabhängigkeit und
Integrität und neutralisierte das Schwarze Meer;
auch verlor Rußland sein Kondominium über die
Donaufürstentümer, doch lockerte sich deren Ab-
hängigkeitsverhältnis zur Türkei bald durch ihre
Vereinigung (1859/62). Der Pariser Friede
zeigte zugleich, daß die Mächte stillschweigend den
Grundsatz befolgten, daß die Türkei auch nach
einem Sieg auf keinen Landgewinn mehr hoffen
durfte.
Die Erhaltung der Türkei hing jedoch weniger
von dem guten Willen der Mächte als von ihrer
eignen Lebensfähigkeit ab. Schon Selim III. er-
kannte die Einführung europäischer Einrichtungen
als das beste Mittel zur Kräftigung des Staats,
doch kostete ihm der Versuch 1807 Thron und
Leben. Mit rücksichtsloser Energie führte Mah-
mud II. den Kampf gegen unbotmäßige Statt-
halter und untreue Beamte und bahnte eine Zen-
tralisation der Verwaltung und einen europäischen
Absolutismus an Stelle des orientalischen Despo-
tismus an. Nachdem er die Janitscharen 1826
Türkei. 554
vernichtet hatte, reorganisierte er das Heer mit
europäischen Offizieren (Moltke). Seit den 1830er
Jahren bildete sich auch in den gebildeten Kreisen
eine fortschritlliche, „jungtürkische“ Gruppe, die
seit dem Krimkrieg ausgesprochen politische Ziele
verfolgte und westeuropäischen Geist zu verbreiten
suchte; ihre Führer waren der Dichter Kemal Bey
und der Beamte Zia Pascha. Insbesondere war
es jedoch England, das auf Reformen drängte,
um die Türkei gegen Nußland zu kräftigen und
diesem durch Verbesserung der Lage der Christen
den Vorwand zu ständiger Einmischung zu nehmen.
So zog allmählich ein humanerer Geist in das
türkische Staatswesen ein, wenn es auch an Rück-
fällen in die barbarische Justiz und Ausbrüchen
des Fanatismus nicht fehlte. Unter dem Einfluß
Reschid Paschas blieb Abdu'l-Medschid (1839/61)
auf der Bahn der Reformen. Der Hatt-i-scherif
von Gülhane (3. Nov. 1839) verkündete Garantie
für Sicherheit des Lebens und Eigentums, Reg-
lung der Dienst= und Steuerpflicht, öffentliches
Gerichtsverfahren und Abschaffung der Kabinetts-
justiz und der Konfiskationen, Anbahnung der
bürgerlichen Gleichstellung der Religionen und
versprach Gesetze zur Ausführung dieser Bestim-
mungen. Damit begann die Periode der Tansi=
mat= oder Reformgesetze (Tansimat-i-chairije,
„Verordnungen für das allgemeine Wohl“"). 1840
wurde die Steuererhebung durch die Statthalter
abgeschafft und ein Wehrgesetz erlassen, das die
Dienstpflicht auf 5 (später 7) Jahre beschränkte,
1847 gemischte Gerichte für Prozesse mit Aus-
ländern eingerichtet. Das Handelsrecht 1850,
das Strafgesetzbuch 1858 und das Sachenrecht
1858/59 waren teils dem mohammedanischen
teils dem französischen Recht entnommen. 1854
wurde der öffentliche Sklavenhandel verboten,
1855 die Kopfsteuer der Christen abgeschafft (tat-
sächlich kam sie bald wieder in der Form einer
Wehrsteuer), 1859 auch die Reste des überlebten
Lehnswesens beseitigt. Im Pariser Frieden mußte
sich die Türkei verpflichten, sich zu einem modernen
und zivilisierten Staat auszubilden. Demgemäß
verkündete der Hatt-i-humajun vom 18. Febr.
1856 vollständige Religionsfreiheit und bürger-
liche Gleichstellung und Reform des Gerichts-
wesens. Die Ausführung aller Reformen erfolgte
jedoch nur langsam und unvollkommen, da dem
Staat die Mittel fehlten und der Geist des Is-
lams sich dem Eindringen abendländischer Kultur
widersetzte. Die Gleichstellung der Christen reizte
die Mohammedaner zu deren Verfolgung (1858
in Dschidda, 1860 im Libanon). Doch blieb auch
Abdu'l-Asis (186 1/76) unter dem Druck der euro-
päischen Diplomatie und dem Einfluß der Wesire
Ali und Fuad Pascha dem Reformwerk eine Zeit-
lang treu. 1863 wurde die Staatsbank und der
Rechnungshof, 1864 eine neue Provinzialeintei-
lung geschaffen, 1868 der Staatsrat mit moham-
medanischen und christlichen Mitgliedern errichtet,
1870 das metrische System eingeführt, 1868/76