Object: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juli 13.) 211 
Ueber das Resultat der leßten Abstimmung wollen wir nur 
zei, „-bikante Bemerkungen der Presse mittheilen: Die officiöse „Nordd. Allg. 
tg.“ findet es „charakteristisch für die Schlußabstimmung über den Zolltarif 
und das Zolltarifgesetz, daß sich unter den Gegnern der Vorlagen neben der 
gesammten Fortschriktspartei alle diejenigen befinden, deren staatsfeindliche Ten- 
deuzen bei jeder Gelegenheit unverhüllt zu Tage kreten. 9 Polen, 5 Welfen 
und 6 Sozialdemokraten haben gegen den neuen Tarf gestimmt, ud die 
Hospitanten des Centrums haben sich zum erstenmal von dem geschlossen 
stimmenden Gros der Fraction getrennt." Die „Voff. Ztg.“ dagegen bemerkt: 
„Ohne daß wir gemeint sind, aus der Zusammensetzung der für oder wider 
einen Antrag stimmenden Parteien weittragende Folgerungen zu ziehen, müssen 
wir doch auf nachstehende bemerkenswerthe Thatsache verweisen. Unter den 
186 Mitgliedern des Reichstags, welche für den Autrag Mirbach stimmten 
— Erhöhung des Nosgenbolls auf 1 " für 100 Kilogr. — befauden sich 
. elige, 67 lieder bürgerlichen Standes. Uate- den 160 wider 
denselben geinernntt Meichstagssretlidern befanden sich dagegen nur 28 
Adelige gegen 132 Personen bürgerlichen Standes. Unter den 119 für die 
Zollerhöhung stimmenden Adeligen befanden sich 6 Fürsten und 25 Grafen. 
Unter den wider adiese Belastung des armen Mannes stimmenden 28 Adeligen 
befanden sich 2 Fürsten und 3 Grafen. Es stimmten überhaupt mit: 147 
Edelleute und 199 Personen bürgerlichen Standes. Von den ersteren stimmten 
also 81 Proc. für, 19 Proc. gegen die Zollerhöhnng. Die Fürsten insbe- 
sondere, theilten sich so, daß 75 Proc. für, 25 Proc. gegen, die Grafen in 
der Art, baß 89 Proc. für, 11 Proc. gegen die Zollerhöhung sümmten. Der 
kleine Adel stellte 88 oder fast 80 Proc. für, 23 oder 20 Proc. gegen den 
Zoll. Von den Personen bürgerlichen Standes waren nur ½ für. 7 gegen 
die Zollerhöhung. Wenn man nun erwägt, das der überwiegend größte Theil 
der Adeligen Landwirthe sind, die sich von agrarischen Täuschungen und 
Gelüsten einfangen ließen; daß der größte Theil der für die Zollerhöhung 
stimmenden Personen bürgerlichen Standes als Schutzzöllner betheiligt oder 
wenigstens solidarisch mit den Agrariern verbunden waren, gegen ihr eigenes 
Interesse zu stimmen, so mag man daran einigermaßen erkennen, in welchem 
Maße diese gange Agitation die Meinungen verwirrt und gefälscht, die bessere 
Ueberzeugung unterdrückt hat.“ 
Fünfzehn Kalionalltbrrale, die für den Zolltarif gestimmt' bbrn, er- 
klären ihren Austritt aus der nationalliberalen Fraction, was sie 
damit motiviren, „daß die in der letzten zeit abgehaltenen Falionesitunem 
in ihnen die Ueberzeugung hervorgerufen haben, daß innerhalb der Fraction 
über die in der gegenwärtigen Lage einzunehmende politische Haltung ein so 
tief greifender Gegensatz vorhanden ist, daß sie einen geeigneten Boden für 
eine fernere gemeinschaftliche Thätigkeit nicht mehr zu erkennen vermögen. 
Die Unterzeichneten, den Grundsäten der nationalen und liberalen Partei 
auch in Zukunft getreu, erklären deßhalb ihren Austritt aus der Fraction.“ 
Ebendasselbe erklärt Treitschke in einem offenen Briefe: „Die Frackon werde 
wider den Willen vieler ihrer Mitglieder durch ihre Abstimmung über die 
Zolltarifvorlage in die Stellung einer geschlossenen Hposttionspartei binüber- 
gedrängt. Getren seiner Ueberzeugung, halte er diese Wendung für einen 
verhängnifpollen politischen Fehler und fühle sich außer Stande, dabei mit- 
zuwirke 
13. Juli. (Deutsches Reich.) Bundesrath: ertheilt den 
neuen Zolltarifgesetzen nach den Beschlüssen des Reichstags seine 
Zuslimmung gegen die alleinigen Stimmen Oldenburgs und der 
Hansestädte. 
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