Object: Europäischer Geschichtskalender. Neue Folge. Zwölfter Jahrgang. 1896. (37)

Fra#kreich. (November 21.) 229 
wissen, daß diese Politik die einzig loyale und starke und die einzig wür- 
dige ist und daß endlich hier, und nur hier allein für ihn und die Seinen 
die Ehre und das Heil liegt. Aber es ist auch nötig, daß diejenigen, welche 
die Verantwortlichkeit bei den zuweilen verwegenen Unternehmungen, die 
versucht wurden, tragen, das Schlimme begreifen, das neue Unbesonnenheiten 
hervorrufen können. Sie wissen jetzt, daß Europa gegenüber den Uebeln, 
von denen sie betroffen sind, nicht unempfindlich ist, aber es ist auch ihre 
Sache zu begreifen, daß das Werk, welches zu unternehmen es sich handelt, 
ein mühsames ist, daß es beträchtliche Verlangsamungen erfahren kann, daß 
die Gewalt dem nicht abhelfen kann und daß, wenn ganz Europa, von 
wohlwollenden Gefühlen beseelt, die Augen auf sie gerichtet hat und ihnen 
wohl will, es keine neuen Ueberraschungen haben will, welche es von seiner 
Aufgabe abziehen und die einmütigen Bestrebungen entmutigen.“ Der 
Minister schließt: „Jch werde versuchen in dem Maße, wie es mir erlaubt 
ist, auf die an mich gerichteten Fragen und die geäußerten Besorgnisse zu 
antworten. Ich versuchte, vor Ihnen die neuen Daten zu entwickeln, welche 
der Gang der Ereignisse der ewigen Orientfrage hinzugefügt hat. Ich 
glaube, die Kammer wird verstehen, und man wird außerhalb dieser Mauern 
verstehen, welches die Triebfedern gewesen sind, die die Polik unseres Landes 
lenken. Treu allen seinen Ueberlieferungen wünscht Frankreich die Besserung 
des Geschickes der Völker des Orients und vergißt die Pflichten des von 
ihm ausgeübten religiösen Protektorats nicht. Frankreich weiß, daß Ord- 
nung und Sicherheit den großen Interessen nötig sind, welche es vertritt; 
es vergißt auch die Bande nicht, welche es seit langem mit dem türkischen 
Reiche verknüpfen und die Gründe, welche es die Aufrechterhaltung der In- 
tegrität desselben wünschen lassen; aber durch die Vergangenheit gewarnt, 
verwirft es den Geist der Abenteuer. Frankreich weiß auch, daß seine 
Pflichten vielfache sind in der Welt und daß es bei jedem gegebenen Um- 
stande seine Bemühungen in Verhältnis setzen muß zu dem Umfange aller 
der Aufgaben, welche ihm gestellt sind. Dies sind die Gesichtspunkte, welche 
die Politik Frankreichs leiteten und leiten werden in dem Augenblicke, wo# 
es sich bemüht, in dem ihm zukommenden Maße die so heiklen Europa vor- 
liegenden Fragen zu lösen. So ernst diese Probleme sein mögen, sind sie 
doch nicht unlösbar, wenn alle daran arbeiten, wie wir selbst es thun im 
Geiste der Eintracht, der Gerechtigkeit und der Einmütigkeit.“ 
Abg. Jaureds (Soz.): Die Erklärungen seien ungenügend. Man 
suche die Verantwortung abzulenken, aber der wirklich Verantwortliche für 
die Massakres sei der Sultan unter Mitschuld von ganz Europa. England, 
Nußland und Frankreich seien besonders Mitschuldige. Jaures beschuldigt 
England und Rußland der politischen Begehrlichkeit und tadelt die Regie- 
rung, daß sie Rußland die politische Leitung im Orient überlasse. Europa 
entziehe sich seinen Verpflichtungen, aber das europäische Proletariat werde 
es zwingen, seine Pflicht zu thun. — Hierauf wird die Erklärung der Re- 
gierung mit 402 gegen 80 Stimmen gebilligt. 
21. November. (Deputiertenkammer.) Hanotaux über 
das Bündnis mit Rußland und die egyptische Frage. 
Millerand (Soz.) fragt, ob zwischen Frankreich und Rußland be- 
sondere Abmachungen bestünden. Minister des Auswärtigen Hanotaug: 
„Die verschiedenen Minister find seit mehreren Jahren schon in unseren Be- 
ziehungen zu Rußland der politischen Verhaltungslinie treu geblieben, welche 
nicht allein durch die wohlerwogene Absicht der Staatsmänner festgestellt 
wurde, sondern welcher auch das spontane Gefühl des Volkes entgegenge- 
kommen war. Jüngst kam das junge russische Kaiserpaar im Verlaufe der
	        
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