Object: Sächsische Volkskunde.

164 H. Ermisch: Die Anfänge des söchsischen Städtewesens. 
Die Einrichtung der Schöffen ist nun nicht bloß für die Rechtspflege, 
sondern auch für die Verwaltung der Stadt von Bedeutung geworden. Wir 
betreten damit das letzte große Gebiet, das für die Entstehungsgeschichte 
unserer Städte in Betracht kommt. 
Die Stadt ist nicht bloß Gerichtsbezirk; vor allem ist sie, wie das Dorf, 
Gemeinde, und zum deutschen Begriff der Gemeinde gehörte zu jeder Zeit eine 
mehr oder weniger ausgedehnte Selbstverwaltung. Wir sahen bereits, daß 
auch die Landgemeinde eine solche hatte, und daß diese Landgemeindeverfassung 
in gewisser Weise als Ausgangspunkt der Stadtverfassung angesehen werden 
kann; immerhin tritt uns der Unterschied zwischen Stadt und Dorf ebenso 
scharf, wie in der Ummauerung, im Markt, im Gerichtswesen, auch in den 
Formen der Verfassung und Verwaltung entgegen. An der Spitze der Land- 
gemeinde steht ein Vorstand, dem allerdings Schöffen anfangs nur für 
gerichtliche Funktionen, später auch für die Verwaltung beigeordnet sind; das 
Gemeindeorgan der Stadt dagegen ist von vornherein ein Kollegium, der 
Rat. Die Landgemeinde ist im wesentlichen monarchisch, die Stadtgemeinde 
republikanisch organisiert. Zu den zahlreichen Fragen der älteren Stadtver- 
fassung, die zu unendlich häufigen Erörterungen Anlaß gegeben haben, gehört 
auch die Entstehung des Rates. Bei uns, glaube ich, liegt die Sache sehr 
einfach: so wenig wie die Stadt selbst, so wenig ist auch der Rat allmählich 
entstanden. Bei Gründung der Stadt übertrug der Landesherr oder der 
sonstige Gründer deren Verwaltung einem Ausschuß, dessen Mitglieder er 
zunächst wohl selbst aus den Ansiedlern ausgesucht hat; er bezeichnet sie des- 
halb als nostri consules, nostri cives. Später wurde die Wahl ein Recht 
der Gemeinde oder erfolgte, wie es thatsächlich wohl meist der Fall war, 
durch Kooptation, wobei übrigens stets dem Stadtherrn die Bestätigung vor- 
behalten blieb. Daß die Gründung des Rates mit den Anfängen der Stadt 
zusammenfällt, ergiebt sich klar aus der Geschichte der Stadt, über deren 
ältere Verfassung wir am besten unterrichtet sind, von Freiberg. Wenn in 
einer Urkunde von 1241 von einem Rechte die Rede ist, das den Konsulu 
der Stadt in prima constructione sui gewährt worden sei, so beweist dies, 
daß der Rat eben so lange bestanden hat wie die Stadt. Die Einsetzung des 
Rates erfolgte durch einen Willensakt des Stadtherrn; und erst durch diese 
Einsetzung wurde die Marktgemeinde zur Stadtgemeinde. Es ist das von 
umso größerem Interesse, als die neueren Forschungen es wahrscheinlich ge- 
macht haben, daß die Entstehung des Rates überhaupt in den Städten der 
östlichen Koloniallande zu suchen und daß diese Institution erst von hier aus 
nach dem Westen übertragen worden sei. 
Mitglieder des Rats waren natürlich die angesehensten Ansiedler; unter 
den 24 Personen, die in Freiberg 1241 als Mitglieder des Rats genannt 
werden, finden sich auch einige Edelleute. Die Zahl ist übrigens aus-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.