56 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 6.)
Die Elsaß-Lothringer hätten in der letzten Zeit gehofft, diese Sperre
bald beseitigt und normale Verhältnisse zwischen den beiden benachbarten
großen Staaten eintreten zu sehen, aber leider seien in den letzten Tagen
ihre Hoffnungen geschwunden; allen Erleichterungen der letzten Monate fei
mit einem Schlage ein Ende gemacht durch das unpatriotische Verhalten
eines Haufens von Leuten, die für sich das Monopol des Patriotismus in
Anspruch nähmen, die unter Vaterlandsliebe und Treue nur die mißfällige
Beurteilung der anderen verständen, die den Patriotismus darin sähen, daß
man mit den großen Schlagwörtern Vaterland, Ehre, Elsaß-Lothringen um
sich werfe, die als Generalpächter der öffentlichen Meinung auftreten zu
sollen glaubten, handwerksmäßig andere verurteilten, die das Diplom des
Patriotismus heute gäben und morgen zurücknähmen und den Chauvinismus
als Patriotismus ansähen. Die Elsaß-Lothringer hätten nie etwas gemein—
sam gehabt mit diesen Leuten, sie hätten auch heute nichts gemein mit ihnen;
er protestiere und habe dabei die ganze Bevölkerung von Elsaß-Lothringen
hinter sich, er protestiere gegen den Mißbrauch, den man dort in den letzten
Tagen mit dem Namen Elsaß-Lothringen getrieben habe. Aber nicht Frank-
reich sei in Elsaß-Lothringen getroffen, das deutsche Reichsland und seine
Bewohner müßten büßen für die Unarten eines immerhin nur geringen
Teils der Pariser Bevölkerung, dessen Handeln selbst dort in weiten Schichten
Verachtung und Verurteilung finde. Deshalb sei es höchst erfreulich, wenn
dafür nach Osten neue Verkehrswege eröffnet würden.
6. März. (Reichstag: Marinedebatte.) Die umstritte-
nen Positionen werden an die Kommission zurückverwiesen.
6. März. Der Kaiser schenkte dem polnischen Abg. v. Kos-
cielski, welcher als Referent der Budgetkommission für den Marine-
etat eintrat, ein Bildnis, darstellend die Flotte des Großen Kur-
fürsten. Das Bild trägt folgende Widmung: „Dem Herrn v. Kos-
cielski zur Erinnerung an sein mannhaftes Eintreten für Meine
Marine von seinem dankbaren Kaiser und König“.
6. März. (Abgeordnetenhaus.) Das Einkommensteuer-
Gesetz wird mit 308 gegen 36 Stimmen (die Freisinnigen, einige
Nationalliberale und Ultramontane) angenommen.
Der von dem Abg. Huene u. Gen. eingebrachte Gesetzentwurf,
betreffend die Abänderung des Wahlverfahrens, wird angenommen.
§ 1. Behufs Bildung der Urwählerabteilungen für die Wahlen
zum Hause der Abgeordneten, der Wählerabteilungen für Gemeindevertreter-
wahlen und in sonstigen Fällen, wo auf die Wahlberechtigungen in öffent-
lichen Verbänden die Summe der veranlagten Beträge der Klassen= und
klassifizierten Einkommensteuer einwirkt, ist für jede nicht veranlagte Person
ein Steuerbetrag von 3 M an Stelle der bisherigen Klassensteuer zum Ansatz
zu bringen.
Bis zu anderweiter, infolge der Ueberweisung von Grund= und Ge-
bäudesteuer an kommunale Verbände etwa erforderlich werdender Abänderung
der Vorschriften über die Wahlen zum Hause der Abgeordneten wird in
Gemeinden, welche in mehrere Urwahlbezirke geteilt sind, — unter Ab-
änderung der betreffenden Bestimmungen des § 10 der Verordnung vom
30, Mai 1849 — für jeden Urwahlbezirk eine besondere Abteilungsliste
gebildet.