174 Nas deulsche Reich und seine rinzelzen Glieder. (Mai 28—29.)
„daß die Bildung von corporativen Verbänden der Ge-
werbetreibenden alseitig als eines der wichtigsten Mittel zur Abhilfe
der mancherlei, im Bereiche des Handwerls hervorgetretenen Uebelständ e an-
erkannt ist; daß die Bildung jolcher Verbände daher auch im allgemeinen
Interesse wünschenswerth erscheint, und es demgemäß Aufgabe der Gesetge-
bung ist, den aus privater Initiative hervorgehenden Bestrebungen fördernd
entgegenzukommen; dast aber diese Förderung nicht darin bestehen kann, den
Eintritt der Gewerbetreibenden in derarlige Verbände obligatorisch zu machen,
sondern vielmehr darin, daß dem aus freier Vereinsthätigkeit Hervorgegangenen
auf dem Wege, der Gesehgebung bestimmte, gewerbrechtliche Befugnisse zuge-
wiesen werden.“
28. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: die Brausteuer-
commission lehnt den von der Regierung verlangten Zollsatz von
4. pro Hectoliter Malz ab und beharrt auf dem bisherigen Zoll
von bloß 2.4
Die Tabakcommission faßt mit 17 gegen 9 Stimmen den
Beschluß, den Zoll für ausländischen Tabak mit 60 M, die Steuer
für den inländischen Tabak mit 25.4 per 100 Kgr. zu besteuern.
Das ist weniger als die Hälfte der Regierungsvorschläge, und die
Vertreter der Regierung haben wiederholt hohe Tabakzölle empfohlen, als
das sicherste Mittel, sich des Monopols zu erwehren. Es ist eben der Centrums-
antrag des Grafen Galen, der in dieser Weise angenommen wird. Das Cen-
trum Ischeint nicht gewillt, den Preis zu zahlen, ehe es nicht der Waare
sicher ist. Bei allen Mit= ben ker haben die Mtramontanen ihren letzten
Zweck im Auge: die Abschaffung der Maigesetze und zunächst des Ministers
Falk. Jeht, wo sie einen wichtigen Bestandtheil der Mehrheit bilden, auf
die sich der Reichskanzler stützt, werden sie immer zuversichtlicher. Den Rück-
tritt des Cultusministers Falk haben sie schon lange als eine Vorbedingung
des Ausgleichs verlangt. Jetzt geht die geitemiemia so weit in ihrem Sieges-
bewußtsein, daß sic sich nicht einmal Falk als Justizminister mehr gefallen
lassen will. Und doch moͤchie gerade in dieser Combination die Möglichkeit
gegeben fein, daß der Staat int der Personenfrage nachgeben kann, ohne sich
etwas zu vergeben und ohne undankbar zu erscheinen gegen einen verdienten
Minister. Mit der Mehrheit des Fürsten Bismarck steht es offenbar kritisch.
Er hat erklärt, daß er die hohen Tabakzölle nicht entbehren könne. Wird
der Reichstag ihm bei der gegenwärtigen Stimmung des Centrums diese
Steuer in der verlangten Höhe und auch die Nachbesteuerung des Tabaks
bewilligen: Ja, das Centrum spricht außerdem von constitutionellen Ga-
rantieen und hat sich so mehr als eine Hinterthür offen gelassen!
Die Beschlüsse der Tabaksteuer-Commission werden im Reichstage
kaum auf irgend einer Seite ernsthaft genommen. Der Finanzminister
recht erklärt in der Commission, solche und ähnliche Beschlüsse hätten nur
den Zweck, das Monopol unvermeidlich zu machen, während die Uliramon=
tanen dabei stehen bleiben, daß sie für alle solche Beschlüsse nicht nur die
constitulionellen Garantien, sondern auch das Bedürfniß für die Interessen
der Einzelstaaten zur Bedingung machten.
29. Mai. (Preußen.) Die Generalversammlung der Berlin-
Stettiner Eisenbahn nimmt mit 3309 gegen 1076 Stimmen den
modifizirten Vertrag betr. Ueberlassung der Bahn an den Staat an;