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schnitt der Städte auf 157 und bei den unehe-
lichen auf 291 pro Mille zurückgegangen, wogegen
das platte Land immer noch mit 166 bzw. 307
vertreten ist. Die Sterbeziffern sind in den deut-
schen Großstädten überhaupt geringer als im
Durchschnitt des Reichs und in dem städte- und
industriereichsten Teil Preußens, im Regierungs-
bezirk Düsseldorf, erheblich niedriger als in den
landwirtschaftlichen Provinzen des Ostens. Eine
Reihe von Städten haben in letzter Zeit auch be-
sondere Stadtärzte im Hauptamt angestellt,
welche das gesamte Gesundheitswesen zu über-
wachen und teilweise im Magistrat Sitz und
Stimme haben (Köln, Düsseldorf, Charlotten-
burg).
9 in unbegrenzter Aufgabenkreis harrt der Städte
schließlich auf dem weitverzweigten so zialpoli-
tischen Gebiet. In erster Linie ist da die
Armen-, Kranken= und Waisenpflege
zu erwähnen, welche jedes Jahr gewaltige, stets
wachsende Ausgaben erfordert. Der Gesamtauf-
wand der deutschen Städte hierfür ist abzüglich
der staatlichen und sonstigen Zuschüsse auf min-
destens 120 Mill. #l jährlich zu veranschlagen.
In Berlin allein beträgt derselbe jetzt 15½⅛
Mill. Jk. In den meisten Städten Deutschlands
ist das Armenwesen nach dem Elberfelder
System (so genannt, weil in Elberfeld zuerst in
Anwendung gelangl) in der Weise organisiert, daß
die Armenpflege ehrenamtlichen Personen (Armen-
pflegern) übertragen ist, die innerhalb des ihnen
zugewiesenen Stadtbezirks, der möglichst klein be-
messen ist, damit eine gründliche Prüfung und
Kontrolle vorgenommen werden kann, selbständig
Unterstützungen gewähren; die städtische Armen-
verwaltung erteilt die nötige Instruktion und bringt
die Unterstützungsanordnungen zum Vollzug. In
neuester Zeit ist man dann dazu übergegangen,
neben den ehrenamtlichen Armenpflegern besoldete
Armenbeamte anzustellen, welche jenen die ersten
Erkundigungen, die Aufklärungsarbeit usw. ab-
nehmen, da es bei dem raschen Wachstum der
Städte immer schwieriger wird, die nötige Zahl
von ehrenamtlichen Pflegern zu gewinnen. Zur
Wahrnehmung der Interessen der verwaisten, ver-
lassenen und unehelichen Kinder sind sodann
überall besondere Waisenräte bestellt, denen
zur Unterstützung ehrenamtliche Waisenpfleger und
Waisenpflegerinnen beigegeben sind. Hierher ge-
hört auch die Generalvormundschaft, deren
Wesen darin besteht, daß ein von der Armen-
verwaltung bestimmter Beamter die vormund-
schaftliche Fürsorge für alle unehelichen und der
Armenpflege anheimgefallenen Minderjährigen
ausübt. Diese Einrichtung, welche sich wie das
Elberfelder System aufs beste bewährt hat, besteht
jetzt schon in 120 Städten und wird weitere Aus-
dehnung erlangen, ebenso wie die neuerdings in
einer ganzen Reihe von größeren Städten ein-
geführte besondere Uberwachung der in fremder
Pflege untergebrachten unehelichen Kinder durch
Städtewesen, modernes.
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teils im Ehrenamt teils gegen Besoldung tätige
Frauen (Polizeipflegerinnen, Armenkontrolleu-
rinnen). Der Umstand ferner, daß die Gemeinden
sich in immer weiterem Maß Aufgaben der Kinder-
fürsorge zu eigen machen, welche über den Rahmen
der armenrechtlichen Pflichten hinausgehen, hat
verschiedene Städte zur Errichtung besonderer
Amter für diesen Zweck der sozialen Fürsorge
veranlaßt. So hat sich in Mainz aus dem
städtischen „Erziehungsbeirat“ eine „Städtische
Zentrale für Jugendfürsorge“ entwickelt,
deren Verwaltung der Deputation für Jugend-
fürsorge unterstellt ist. In Magdeburg ist
ebenfalls ein besonderes „Städtisches Jugend-
fürsorgeamt“ errichtet worden, welches fol-
gende Aufgaben zu erfüllen hat: Beschlußfassung
über die Unterbringung der der öffentlichen Armen-
pflege anheimgefallenen Pflegekinder und die dau-
ernde Uberwachung der Verpflegung und Er-
ziehung dieser Kinder; die Uberwachung der Ver-
pflegung und Erziehung aller unehelichen und
solcher ehelichen Kinder, deren Eltern öffentliche
Armenunterstützung beziehen; die Förderung aller
Bestrebungen, die das sittliche, gesundheitliche und
wirtschaftliche Fortkommen dieser Kinder auch nach
der Schulentlassung zum Gegenstand haben; die
Geschäfte des Gemeindewaisenrats, die Vorberei-
tung der Fürsorgeerziehung, die Unterstützung des
Jugendgerichts, die Obliegenheiten der Berufs-
vormundschaft, die Geschäfte der Säuglingsfür-
sorge, der slädtischen Erziehungsanstalt und des
Kinderasyls, die Unterstützung der auf Schutz der
Jugendlichen gegen Ausbeutung und Ausnutzung
gerichteten Bestrebungen, die Auskunftserteilung
in allen einschlägigen Angelegenheiten, insbeson-
dere in Erziehungsfragen und hinsichtlich der Be-
rufswahl.
Behufs Verminderung der Arbeitslosig-
keit, unter der die großen Städte ganz außer-
ordentlich zu leiden haben, und Reglung von An-
gebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt haben
fast alle größeren und mittleren, aber auch zahl-
reiche kleine Städte gemeindliche Arbeitsnach-
weise eingerichtet, die Arbeitgebern wie Arbeit-
nehmern unentgeltlich zur Verfügung stehen. Wenn
infolge wirtschaftlicher Notlage die Arbeitslosig--
keit weitere Kreise erfaßt, sorgen die Städte für
sog. Notstandsarbeiten, um die unfreiwillig Feiern-
den nutzbringend zu beschäftigen und sie vor der
Inanspruchnahme der Armenpflege zu bewahren.
Am meisten geleistet hat auf diesem Gebiet bisher
Düsseldorf, welches im Winter 1908/09 2354
Arbeitslose an insgesamt 91045 Arbeitstagen
beschäftigte und dafür nahezu eine halbe Million
aufzuwenden hatte. Das Mißliche an den Not-
standsarbeiten ist aber, daß sie die Städte um
mindestens die Hälfte teurer zu stehen kommen,
als wenn sie diese Arbeiten durch ihre eignen Ar-
beiter in einem geeigneten Zeitpunkt ausführen
lassen könnten. Verschiedene Städte sind daher
neuerdings zur Errichtung gemeindlicher Ar-