Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 3.) 179
Tarif kann auf concurrirende Linien übertragen werden. Wenn jedoch der
Unterschied in den Tarisen mehr als 20 Procent des Tarifs der billigeren
Linie beträgt, ist zur Aufnahme der Concurrenz die Genehmigung der Landes-
aufsichtsbehörde mit Zustimmung des Reichseisenbahnamts erforderlich. Bei
Meinungsverschiedenheit entscheidet der Bund esrath. Diese Bestimmungen
finden auch Anwendung, wenn es sich um die Uebertragung eines fremd-
ländischen oder eines unter Betheiligung weractwif Bahnen vorschrifts-
mäßig hergestellten Tarifs auf eine andere, diefelben Stationen verbindende
Linie handelt, falls die Länge der an der slzleren betheiligten deutschen
Eisenbahnstrecken hinter der Länge der an dem zu übertragenden Tarife be-
theiligten deutschen Eisenbahnstrecken nicht mehr als um 20 Procent zurück-
bleibt. §. i der Einrichtung directer Expeditionen in Gemäßheit des
Art. 44 der Neichsverfaffung sind die Eisenbahnen verpflichtet, für den ge-
aineleer Tarif die niedrigsten Streckenfrachtsätze zu. vroipigen, welche
sie auf der bateesennnn. Bahnstrecl für die gleichartigen Frachtgegenstände
und für die gleiche Leistung bei gleicher oder geringerer Länge des immeechal!
des Nereorshets “m3 eges in irgend einem andern Verkehr
heben, sofern dieß vom Neschzeisenbirhnant im allgemeinen Vertehrpinlereff-
verlangt wird. Auf Streckenfrachtsätze, welche sich aus der Uebernahme des
billigeren Tarifs oder einer anderen Linie (§. 7) ergeben, findet diese Be-
stimmung keine Anwendung. §. 9. Die Aufhebung directer Expeditionen
ist nur mit Zustimmung des Reichseisenbahnamts statthaft.“ — Aus den
übrigen Bestimmungen ist hervorzuheben, daß die Güter über den billigsten
Weg zu leiten sind und der Aige Weg zu wählen ist, welcher zur kürzesten
Lieferungszeit führt. Alle Ausnahmebestimmungen hat der Bundesrath zu
treffen, der auch das Inkrafttreten der neuen Tarife anordnet. Alle günsti-
eren Frachten ausländischer Erzeugnisse gegenüber inländischen treten zu
Ende dieses Jahres außer Kraft. wenu sie der Bundesrath nicht bis 1.
cember genehmigt. Vereinbarungen in Staatsverträgen mit außeerdeutschen
Staaten über das Tarifwesen bleiben unberührt. Auf Schmalspurbahnen
findet das Geseß keine Anuwendung. Für Secundärbahnen kann der Bundes-
rath Ausnahmen gestatten. Der württ. Negpierung sind für den Localverkehr
einige Vorrechte reservirt. Auf Bayern findet das Gesetz keine Anwendung.
Der Entwurf erleidet im Sonderausschuß bereits erhebliche
Beschränkungen. Dennoch bleibt bei einzelnen Bundesstaaten eine
tiefe Verstimmung, die eine weitere Abänderung der Vorlage durch
das Plenum als sehr wahrscheinlich erscheinen läßt.
Der Gesehentwurf stößt aber auch in der öffentlichen Meinung fofort
auf die entschiedenste Opposition. Derselbe zeigt das Streben, mit der slarken
Hand des Staates in die Bewegung des wirthschaftlichen Verkehrs einzu-
greifen, in noch viel umfassenderem Maße, als die übrigen Vorlagen, welche
in der letzten Zeit von der Regierung ausgegangen sind. Der wesentlichste
Inhalt desselben läßt sich dahin zusammenfassen, daß dem Bundesrathe die
acht gegeben wird, die Tarife festzustellen, daß er gewissermaßen als eine
Generaldirertion der Eisenbahnen, der staatlichen wie der Privatbahnen, vor-
läufig für den einen Zweig des Eisenbahnwesens, den Güterverkehr, eingesetzt
wird. Allerdings werden in dem Gesehe eine Anzahl von Normativbestim-
mungen ausgesprochen, nach denen der Bundesrath sich richten soll; dann
aber wird ihm eine discretionäre Befugniß beigemessen, diese Bestimmungen
durch Ausnahmen zu durchbrechen, und als Gesammtreful at stellt sich eine
beinahe souveräne Eewalt des Bundesraths, Tarife einzuführen, abzuändern
und abzuschaffen, heraus. Die erste Folge, wenn der Gesebentwurf an-
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