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Später stellte sich aber heraus, daß die in der Rechnung nach dem Tarif in Ansatz gebrachte Ver-
pflegung gar nicht stattgefunden hatte, sondern der Frau des L. nach einer mit derselben getroffenen Abrede
nur eine wöchentliche Baarunterstützung von 2 Thlr. 12 Sgr. gewährt worden war. Das mittelste Kirchspiel
verlangte daher das seiner Ansicht nach für dle Verpflegung zuviel Gezahlte von dem Armenverband Burg
klagend zurück.
Der letztere suchte namentlich auszuführen, daß für die zu 44 Tagen festgesetzte Zeit der Krankheit des
L. rücksichtlich der Verpflegung nach dem Tarife gerechnet werden könne, wenn auch nur eine Baarunterstützung
in der vom Kläger jetzt behaupteten Weise stattgefunden habe.
Die Schleswig-Golsteinische Deputation für das Heimathwesen hat durch Entscheidung vom 6. Januar 1871
den Kläger mit seiner Klage kostenfällig abgewiesen, indem es sich für inkompetent erachtet.
Das Bundesamt für das Heimathwesen hat aber diese Entscheidung auf die Berufung des Klägers
durch Erkenntniß vom 11. Mai 1874 aufgehoben, und den Verklagten für schuldig erklärt, dem Kläger den
zuvlelgezahlten Betrag zurückzuerstatten. Die Gründe dieses Erkenntnisses lauten:
Die Deputation für das Heimathwesen hat ihre abweisende Entscheidung darauf gestützt, daß
nicht alle Streitigkeiten zwischen Armenverbänden von den Deputationen zu entscheiden seien, daß
nach dem Reichsgesetze vom 6. Juni 1870 deren Kompetenz sich vielmehr auf die Klage des vor-
läufig unterstützenden Armenverbandes gegen den definitiv Verpflichteten auf Kostenerstattung und
Uebernahme beschränke: daß die Entscheidung über die vorliegende Klage des definitiv Verpflichteten
gegen den vorläufig unterstützenden Armenverband auf Zurückerstattung des irrthümlich zuviel Ge-
zahlten vor die ordentlichen Gerlchte gehören möge, jedenfalls aber zur Kompetenz der Deputation
nicht gehöre.
Die vom Kläger gegen diese Entscheidung formgerecht eingelegte Berufung mußte für begründet
erachtet werden.
Allerdings hat auch das Bundesamt sich bereits in einer Reihe von Fällen dahin ausgesprochen,
daß alle Streitsachen, in welchen nicht der vorläufig unterstützende Armenverband als Kläger dem
angeblich endgültig verpflichteten gegenüber steht, den durch das Reichsgesetz geschaffenen Spruch-
behörden entzogen seien, weil sie ihm nicht überwiesen worden. Diese Ansicht, welche in dem Wort-
laute der Bestimmung des Reichsgesetzes ihre Begründung zu finden schien, hat jedoch nicht ferner
festgehalten werden können.
Wenn man das Gesetz in seiner Totalität aufzufassen sich bestrebt, gelangt man zu der An-
schauung, daß dasselbe generell und einheitlich die Frage regeln wollte:
welcher Armenverband ist zur Fürsorge für einen Hülfsbedürftigen vorläufig und welcher
definitiv verpflichtet?
Das Gesetz hat, wie sich insbesondere aus den Verhandlungen des Reichstags auf das un-
zweideutigste erglebt, um seine gleichmäßige Auslegung und Ausführung sicher zu stellen, zugleich
die Judikatur über jene, dem öffentlichen Rechte angehörige Frage, soweit es nach der politischen
Lage ausführbar erschien, ebenso einheitlich gehandhabt wissen wollen, und deshalb das Bundesamt
für das Heimathwesen zur Entscheldung über interterritoriale Streitfragen dleser Art — §. 37 des
Reichsgesetzes — und über die territortalen Streitigkeiten derselben Kategorie in denjenigen
Staaten geschaffen, deren Landesgesetzgebung seine Kompetenz in Gemäßheit des §. 52 ibid. auf
diese Streitsachen ausdehnen würde. Streitigkeiten, welche die aus den bezüglichen reichsgesetzlichen
Bestimmungen entspringenden Rechte und Pflichten der öffentlichen Armenverbände — in dieser
ihrer Eigenschaft — zum Gegenstande haben, müssen daher im Zweifel, und soweit nicht ein
Anderes aus dem Gesetze bestimmt nachzuweisen ist, als nach den Intentionen desselben zur Kompe-
tenz des Bundesamtes gehörig betrachtet werden, da die beabsichtigte Wirksamkeit des Bundesamts
in gleichem Maße vermindert und beeinträchtigt werden müßte, als man seine Kompetenz über die
Linie hinaus, welche durch die bereits berührten politischen Verhältnisse bereits gezogen war,
einschränkt.
Schon von diesem allgemeinen Gesichtspunkt aus muß es als dem Zwecke des Gesetzes zuwi-
derlaufend in hohem Grade bedenklich erscheinen, die zahlreichen anderen interterritorialen Streit-
sachen über die öffentilche Unterstützung Hülfsbedürftiger, in welchen es sich nicht gerade um den
Anspruch eines vorläufig unterstützenden Armenverbandes gegen den definitio verpflichteten handelt,