I. Abschn. Die Ehrengerichte. 255
8. 33. Ist das ehrengerichtliche Verfahren angeordnet, so darf es
vor Beendigung durch ehrengerichtlichen Spruch nicht wieder eingestellt
werden. Die Zuständigkeit des mit dem Verfahren beauftragten Ehren—
gerichts wird durch Versetzung oder Verabschiedung des Angeschuldigten
nicht aufgehoben.
§. 34. Der Kommandeur ist für die Leitung des Verfahrens ver-
antwortlich. Er gibt dem Ehrenrath die nöthigen Direktiven. Die Unter-
suchung wird schriftlich geführt. Sie beschränkt sich auf Klarstellung der
wesentlichen Thatsachen und vermeidet sorgfältig jede Weiterung.
§. 35. In loco wohnende Zeugen werden durch den untersuchung-
führenden Ehrenrath, auswärtige durch einen requirirten oder durch ein
Militär= oder Civiluntersuchungsgericht vernommen. Es darf nur das-
jenige mitgetheilt werden, was zur Erledigung der Requisition nothwendig
ist. Diese selbst erfolgt durch den Kommandeur auf dem vorgeschriebenen
Dienst= oder Requisitionswege.
§. 36. Die Vernehmungen durch den Ehrenrath geschehen protokol-
larisch. Es sind alle Mitglieder anwesend. Deutsche Offiziere, als Zeugen
vernommen, deponiren auf Ehre und Pflicht. Andere Zeugen werden, wenn
nothwendig, durch ein zu requirirendes Militär= oder Civiluntersuchungs-
gericht vereidigt.
§. 37. In die Akten des Ehrengerichts darf vor Erledigung der
Sache nur dem Angeschuldigten oder dessen Vertheidiger — und zwar in
Gegenwart eines Mitglieds des Ehrenraths —, dann den vorgesetzten
Militärbehörden Einsicht gestattet werden.
§. 38. Ist dem ehrengerichtlichen Verfahren eine gerichtliche Unter-
suchung vorausgegangen, so können die Akten des letztern dem erstern,
soweit sie für dessen Zwecke ausreichen, zu Grunde gelegt werden.
§. 40. Kommen im Laufe der ehrengerichtlichen Untersuchung weitere
Handlungen des Angeschuldigten zur Sprache, welche nach Ansicht des
Kommandeurs ein ehrengerichtliches Verfahren erfordern, so ist bei dem
in §. 28 und 29 bezeichneten Befehlshaber die Ausdehnung der
Untersuchung auf diese Anschuldigungspunkte zu beantragen
und nach Entscheid zu verfahren.
§. 41. Beim Schlusse der Untersuchung macht der Ehrenrath den
Angeschuldigten aufmerksam, daß ihm gestattet ist, dem Ehrenrath seine
Vertheidigung zu Protokoll zu geben, oder eine selbstverfaßte Vertheidigungs-
schrift einzureichen, auch vor versammeltem Ehrengerichte mündlich seine
Vertheigung zu wiederholen oder zu ergänzen, endlich, daß er sich von
einem anderen Offizier von gleicher oder höherer Charge schriftlich ver-
theidigen lassen könne.
§. 42. Sodann beruft der Kommandeur die Mitglieder des Ehren-
gerichts zur Versammlung und zum Spruche. Die Mitglieder des Ehren-
gerichts werden über die Sachlage vollständig unterrichtet, durch Austausch
der Ansichten die Ueberzeugung geklärt und diese in einem Spruche zum
Ausdruck gebracht.
§. 43. Zur Spruchsitzung werden alle stimmberechtigten Mitglieder
des Ehrengerichtes so eingeladen, daß auch auswärtige Mitglieder die
Möglichkeit erhalten, an derselben Theil zu nehmen. Stimmberechtigt sind
alle Mitglieder des Offizierskorps einschließlich der Stabsoffiziere und des
Kommandeurs.