Zweiter Abschnitt.
Weltpolitische
Mühen ohne zureichende Mittel.
1895—1909.
Der Weg zur Krügerdepesche.
Als der Deutsche Kaiser im Sommer 1895 die Königin von England,
seine Großmutter, wie beinahe jedes Jahr besuchte, machte sich eine Be-
wegung in der englischen Regierungspresse bemerklich, die großes Auf-
sehen überall und in Deutschland heftigen Unwillen erregte. Der Lon-
doner „Standard“ brachte eine Reihe von Artikeln, die sich, anstatt den
Kaiser zu begrüßen, in ironischem Tone persönlich gegen ihn wandten.
Man machte den Kaiser darauf aufmerksam, daß er bei der Königin eine
Unterrichtsstunde in politischer Weisheit nehmen solle. Er könnte aller-
dings nie imstande sein, die Königin an Scharfsinn zu übertreffen, es
würde aber schon genug sein, wenn er sich seiner Abstammung der mütter-
lichen Seite würdig zeige. Sachlich fügte das Blatt dann binzu: englische
Minister müßten stets den Wunsch haben, gute Beziehungen mit dem
Deutschen Reiche zu unterhalten, aber die Politik des Kaisers habe die
Tendenz, diplomatische Experimente zu machen. Deutschland möge be-
denken, daß Englands Entgegenkommen für Deutschland wertvoller sei
als alle anderen diplomatischen Beziehungen.
Es entspann sich eine deutsch-englische Preßfehde, und schließlich
kam der „Standard“ damit heraus, daß der Hauptgrund des englischen
Unwillens der deutsche Einspruch gegen das englische Kongoabkommen
sei. Dieser offene, in seiner Art brüske und überaus anmaßende Angriff
nicht nur gegen die deutsche Politik, sondern auch gegen die Person des
Kaisers sollte wohl einerseits bezwecken, den Kaiser einzuschüchtern und
ihn zur Initiative einer Aussprache mit der Königin von England zu
bringen, anderseits den deutschen Staatsmännern zu zeigen, daß man
nicht geneigt sei, mit Wohlwollen hinzunehmen, wenn das flottenlose
Deutschland sich erdreiste, England auf dem Gebiete der Kolonialpolitik