Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Cherbourg — Kreta — Kiautschou — Angola. 109 
  
der Türkei. Griechenland mußte eine Kriegsentschädigung zahlen, er- 
hielt aber Thessalien. Im Frieden zu Konstantinopel am 16. Dezember 
1897 erhielt Kreta die Selbständigkeit unter einem griechischen Statt- 
halter. Die seinerzeit von Oeutschland vorgeschlagene internationale 
Finanzkommission wurde eingesetzt, um eine Zuverlässigkeit der griechi- 
schen Geldwirtschaft anzubahnen, die einerseits den Interessen der Gläu- 
biger Rechnung trüge, anderseits Garantien für die Möglichkeit griechi- 
scher Anleihen schüfe, mittels derer die Kriegeentschädigung bezahlt werden 
konnte. 
Der deutsche Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, v. Bülow, 
welcher im Frühwinter 1897 den Baron Marschall abgelöst hatte, äußerte 
sich im Reichstage auf Anfragen folgendermaßen: „Wir haben an Kreta 
nach wie vor keine anderen Interessen, als daß dasselbe nicht zum Eris- 
apfel und nicht zur Brandfackel werde.“ Oeutschland habe sich auch nur 
in diesem Sinne diplomatisch betätigt: „denn gerade weil die Pforte weiß, 
daß wir ihr ganz objektiv gegenüberstehen, konnten wir in entscheidenden 
Momenten, wie damals, als es sich darum handelte, ob die Türken dem 
besiegten Griechenland den von diesem erbetenen Waffenstillstand ge- 
währen oder den Vormarsch auf Athen fortsetzen sollten, sagen, daß es 
nicht weise von ihr sein würde, sich den vereinigten Wünschen aller euro- 
päischen Mächte entgegenzusetzen. An einem positiven Drucke auf die 
Pforte werden wir uns aber nicht beteiligen.“ Wenn andere Mächte einen 
solchen Druck ausübten und wenn Streit entstände, so würde Deutsch- 
land ruhig beiseite treten. Auch Griechenland gegenüber sei man von 
freundlichen Gesinnungen durchdrungen, aber Griechenland sei der an- 
greifende Teil gewesen, habe in der Erledigung seiner geldlichen Ver- 
pflichtungen gröblich gefehlt und viele deutsche Inhaber griechischer Werte 
schwer geschädigt. — Der Umschwung gegenüber der Marschallschen 
Politik ist klar! 
Das dritte und unter dem deutschen Gesichtspunkte bedeutendste 
Ereignis leitete sich im November 1897 ein. 
In der chinesischen Provinz Süd-Schantung wurden am 4. November 
zwei deutsche Missionare ermordet; man hielt den Gouverneur der Pro- 
vinz für den intellektuellen Urheber dieses Mordes. Am 14. November 
erschien das deutsche Kreuzergeschwader unter dem Befehle des Konter- 
admirale v. Oiederiche mit den Schiffen „Kaiser“, „Prinzeß Wilhelm“, 
„Arkona“ und „Cormoran“" in der Bucht von Kiautschou an der Halb- 
insel Schantung, deren Hinterland zu der gleichnamigen Provinz gehört. 
Das Geschwader schiffte ein Landungskorps aus, und dieses besetzte den
	        
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