Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

112 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
willigsten Argwohnes gewichen. Das deutsche Kiautschou wurde also 
gewissermaßen in die Luft hineingebaut, wohl im Grundgedanken, es 
sei nun Sache der Politik, eine sichernde Grundlage zu schaffen. Dies 
dürfte in der Tat möglich gewesen sein, auch nachdem die Zeit der eigent- 
lichen Gefährdung eingetreten war, nämlich die Verdrängung Rußlands 
aus dem fernen Osten und die Vorherrschaft des Großbritannien ver- 
bündeten Japans ebendort. Ze stärker Zapan wurde, desto notwendiger 
war für die deutsche Politik, eine Beziehung zwischen dem Oeutschen 
Reiche und Japan herzustellen, welche eine Sicherung Kiautschous be- 
deutete. 
Die deutsche Ausfuhr nach dem chinesischen Markte hatte sich in den 
letzten zehn Jahren verdreifacht, und der Staatssekretär des Auswärtigen 
Amtes traf das Richtige, wenn er sagte: „Wir waren uns schon vorher 
nicht im Zweifel darüber, daß wir in Ostasien einen territorialen Stütz- 
punkt brauchten. Ohne eine solchen würden wir dort in wirtschaftlicher, 
in maritimer und in allgemeinpolitischer Hinsicht in der Luft schweben. 
In wirtschaftlicher Beziehung brauchen wir eine Eingangstür zu dem 
chinesischen Absatzgebiete, wie Frankreich eine solche in Tonking, England 
in Hongkong und Rußland im Norden besitzt.“ 
Es handelte sich also darum, wirtschaftlich eine Eingangspforte nach 
China ebenso wie einen Auslaß aus dem riesigen Gebiete nach dem Ozeane 
zu besitzen. Bisher war Oeutschland gerade in diesem wichtigen Punkte 
hinter den anderen Seehandelsmächten in China weit zurück. Das mußte 
der sich so stark vermehrende deutsche Ausfuhrhandel immer schwerer 
empfinden. 
Sieht man von der Eigentümlichkeit der Form der Besitznahme ab, 
so bietet Kiautschou geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie die Flagge 
dem Handel gefolgt ist, bier freilich sehr spät. Auch rein maritim be- 
trachtet, lag die Notwendigkeit auf der Hand. Die deutschen Kriegeschiffe 
hatten in den Ostasiatischen Gewässern bisher weder einen eigenen Stütz- 
punkt noch eine Kohlenstation, sie mußten selbst für geringfügige Re- 
paraturen und zum Docken nach Hongkong oder nach einem japanischen 
Kriegshafen gehen, waren also räumlich und damit auch zeitlich, oft im 
Gegensatze zu ihren jeweiligen Aufgaben an der chinesischen Küste, in 
der unangenehmsten Weise gebunden. Oazu kam, daß nach Erklärung 
der einschlägigen geistlichen Autoritäten die Lage der Dinge in China 
eine deutsche Fußfassung für die Lebensfähigkeit der deutschen Missionen 
geradezu notwendig machte. 
Was die Wahl des Ortes anlangt, so batte das deutsche Kreuzer- 
geschwader und hatten Techniker wie wirtschaftliche Autoritäten schon 
seit Jahren an der ostasiatischen Küste Umschau gehalten, welcher Punkt
	        
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