Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

120 2. Abschnitt. Weltpolltische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1903. 
  
Großbritanniens redet. Diese Versuche an sich waren im Gegenteil sehr 
aufrichtig und, wie wir gesehen haben, hielt man in England auch mit 
dem Motive keineswegs hinterm Berge. Fürst Bülow seinerseits batte 
offenbar zwei Hauptgründe, nicht auf die englischen Anerbieten einzu- 
gehen. In erster Linie wollte er das mühsam wieder gewonnene gute Ver- 
hältnis mit Rußland nicht aufgeben. Die Vorteile, welche eine solche neue 
Schwenkung für ODeutschland ergeben konnte, waren unsicher, ja nebelhaft, 
die Nachteile groß, denn trotz Ostasien blieb Rußland immer noch Deutsch-- 
lands Nachbar in Europa mit einer beiden Ländern gemeinsamen langen 
Landgrenze, es blieb auch der Bundesgenosse Frankreichs. Gute deutsch- 
russische Beziehungen waren der deutschen Politik auch im nahen Oriente 
erwünscht. Schließlich wäre es in Rücksicht auf den Oreibund nachteilig 
gewesen, das deutsch-russische Berhältnis kühl oder gar feindselig werden 
zu lassen, denn, wie wir gesehen haben, waren die russisch-österreichischen 
Beziehungen damals besonders eng. Man hätte möglicherweise Öster- 
reich mehr zu Rußland hinübergeschoben, als nützlich war, und sich so 
auf dem Festlande annähernd vollständig isoliert. Auf der anderen Seite 
konnte Fürst Bülow annehmen, daß die Gefahren, welche England für 
sich in Ostasien kommen sah, für Deutschland lange nicht so bedeutend 
waren. Dazu kam als Faktor die öffentliche Meinung in Deutschland, 
welche seit der Krügerdepesche von tiefster Bitterkeit und regstem Miß- 
trauen gegen alles Englische erfüllt war, während die öffentliche Meinung 
in England, in nationalen Fragen diszipliniert und praktisch wie immer, 
nicht gezögert hatte, eine britisch-deutsche Annäherung zu propagieren. 
Es gebt aus den angeführten Aussprüchen des Fürsten Bülow hervor, 
daß er analog der Hohenloheschen Politik — vor Bülows Amtsantritte — 
in allen Fragen, die sich nicht durch die Bündnisse Deutschlands unmittel- 
bar beantworteten, eine Politik der freien Hand als für Deutschland 
gegeben erachtete. Der Dreibund und freundliche Beziehungen zu Ruß- 
land waren die Grundlagen seiner Politik, nach allen anderen Richtungen 
bin wollte er tunlichst freie Entscheidung von Fall zu Fall. 
Kaiser Wilhelm II. beglückwünschte im April 1898 die Königin von 
England zum Siege, welchen Lord Kitchener bei Atbara über Kalifen- 
truppen erfochten hatte. In der englischen Presse las man damals, und 
der Wunsch war wohl der Vater des Gedankens, daß dieser Glückwunsch 
einen Frontwechsel der deutschen Politik anzeige. Davon war keine 
Rede, aber augenscheinlich wollte man zeigen, daß weder der Kaiser, 
noch die deutsche Regierung einen prinzipiellen Gegensatz zur britischen 
sahen, sondern deren Erfolge auf anderen Gebieten mit Wohlwollen ver- 
folgten. Es handelte sich also um eine Höflichkeit, die an und für sich nichts 
kostete.
	        
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