Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

162 2. Abschnitt. Weltpolitische Mühen ohne zureichende Mittel. 1895—1905. 
  
das Oeutsche Reich könne sich dieses oder jenes nicht gefallen lassen, es 
müsse seine Politik und sein Ansehen mit allen Mitteln vertreten, und 
— dann im letzten Augenblick sich auf das Ballen der Faust in der Tasche 
beschränken, weil eben der Machtfaktor, auf den gestützt allein man eine 
solche Politik hätte treiben können, zum bei weitem größten Teile noch 
auf dem Papier stand. Dazu kam zunächst erleichternd die offene Neigung 
und das Bestreben Großbritanniens, eine gemeinsame überseeische Politik 
mit dem Deutschen Reiche zu treiben. Diese NReigung begegnete sich 
mit dem eben auseinandergesetzten Bedürfnisse Deutschlande, hatte somit 
viel Berlockendes auf der einen Seite für sich. Auf der anderen schreckten 
die Spuren der Caprivischen Englandpolitik mit ihren beiden gleich ge- 
fährlichen Extremen: deutsch-russische Entfremdung, Vasallenverhältnis 
zu Großbritannien auf dem ganzen Gebiete der kolonialen und der über- 
seeischen Politik. Diese Klippen zu vermeiden, dürfte ungefähr der Haupt- 
inhalt der Politik gewesen sein, welche Fürst Bülow unter der Politik der 
freien Hand verstand. Es ist gerade für die Bülowsche Politik und den 
geringen Grad, in dem ihre Grundzüge in Oeutschland verstanden worden 
sind, charakteristisch, daß er wieder und wieder auf die freie Hand Eng- 
land gegenüber hingewiesen hat. Wir haben schon verschiedentlich der- 
artige Außerungen zitiert, und es möge noch eine folgen, die im Dezember 
1900, also nachdem der Burenkrieg fünfviertel Zabre gedauert hatte, 
getan wurde: „Wir stehen England gegenüber vollständig unabhängig 
da, wir sind nicht um eines Haares Breite mehr auf England angewiesen 
als England auf uns. Aber wir sind bereit, auf der Basis gegenseitiger 
Rücksichtnahme — über diese selbstverständliche BVorbedingung für ein 
aufrichtiges Verhältnis zwischen zwei Großmächten haben wir keine Groß- 
macht je im Zweifel gelassen —, ich sage: wir sind bereit, auf dieser Basis 
mit England in Friede, Freundschaft und Eintracht zu leben.“ 
Daß eine solche Politik an sich schwierig war, oft verschiedene Ge- 
sichter zeigen und, um einen Biemarckschen Auödruck zu gebrauchen, 
„wenden“ mußte, lag auf der Hand; vor allem aber ihre Schwierigkeit, 
die leicht zur Unmöglichkeit werden konnte, — wenn man von vornherein 
entschlossen war, einem Kriege unter beinahe allen Umständen auszu- 
weichen. 
Boxerkrieg und Yangtse-Vertrag. 
Feindlichkeit gegen die Fremden bestand in China, seitdem Fremde 
dort waren. Dazu kam von Norden immer drohender die russische Ge- 
fahr; auch die Besetzung Port Arthurs durch die Russen und die An- 
sammlung immer stärkerer russischer Geschwader vor Port Artburz schließ- 
lich die gewaltigen Bahnpläne und Arbeiten, welche von den Regierenden
	        
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