Die Entente Cordiale — Marokko — Hull — Kiel. 223
Die französische und die spanische Regierung sind übereingekommen,
den Bereich der Rechte und die Garantie der Interessen festzulegen,
welche sich für Frankreich aus seinen algerischen Besitzungen, für Spanien
aus seinem Besitze an der marokkanischen Küste ergeben. Die spanische
Regierung hat sich demgemäß der französisch-englischen Erklärung vom
8. April 1904 hinsichtlich Marokkos und Agypptens angeschlossen, die ihr
durch die französische Regierung bekanntgegeben worden war. Die fran-
zösische und die spanische Regierung erklären, daß sie nach wie vor un-
erschütterlich an der Zntegrität des Marokkanischen Reiches unter der
Souveränität des Sultans festhalten. —
Die französisch-englischen Abkommen vom 8. April 1904 setzten an
sich die unmittelbar nach Faschoda begonnene Politik des reinen Tisches
in allen älteren und neueren kolonialen Streitfragen fort. Das gilt von
den Abmachungen gleichen Datums über Neufundland, Senegambien,
Madagaskar, Siam und die neuen Hebriden.
Anders stand es mit dem Abkommen über Marokko und Agopten.
In diesen beiden Ländern sagten sich, die Mächte gegenseitig Gewährung
der freien Hand „à outrance“ zu und erklärten gleichzeitig, daß sie „nicht
beabsichtigten, den politischen Zustand“ ÄAgpptens bzw. Marokkos zu
ändern. In Agypten herrschte de facto Großbritannien schon längst, und
niemand bezweifelte mehr, daß es darin bleiben werde. Frankreich ver-
sprach in dem Abkommen, daß es sich der englischen Agyptenpolitik nicht
widersetzen, insbesondere nicht mehr wie früher, bei jeder Gelegenheit die
Räumung Agyptens von Großbritannien verlangen werde. Oie ägyptische
Schuldenkasse blieb bestehen. England verpflichtete sich lediglich, den
französischen Schulen dieselbe Freiheit wie bisher und einem französischen
Gelehrten die Leitung der Altertümer zu lassen.
Hinsichtlich Marokkos erklärte Frankreich, daß es nicht die Albsicht
habe, den politischen Zustand zu ändern. Diese von den beiden Näch--
ten gebrauchte Wendung konnte, genauer betrachtet, keine Berpflichtung
bedeuten, sondern eben nur die Feststellung eines augenblicklichen Feh-
lens der Absicht, wobei natürlich vollkommen offen blieb, daß gelegentlich
trotz der „fehlenden Absicht“ die in solchen Fällen immer zur Verfügung
stehenden „Umstände“ zur Anderung des politischen Zustandes veran-
laßten. Die Wendung „politischer Zustand“ war überlegt unbestimmt.
Frankreich befand sich zu Marokko in einer ganz anderen Stellung
wie Großbritannien zu Agyppten. Die Engländer herrschten hier schon
längst, in jedem Sinne des Wortes und waren de facto auch international
als Herren anerkannt. Mit den Franzosen stand es umgékehrt: sie wollten
alles, aber sie besaßen nichts — als die Grenznachbarschaft durch Algerien.
Um so eigentümlicher mußte der Widerspruch zwischen den Wen-