Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oie beiden Konferenzen: Algeelras und Haag. 267 
  
Enttäuschung griff nichtsdestoweniger in Rußland Platz, als man sah, 
daß der französische Bundesgenosse nicht nur, weder zu Lande noch zu 
Wasser, Hilfe gewährte, sondern sich auf Englands Befehl sogar weigern 
mußte, Schiffen des ausreisenden baltischen Geschwaders Asyl und Pro- 
viantunterstützung an der südostasiatischen Küste zu gewähren. Im wei- 
teren Verlaufe des Krieges freilich sind diese russischen Mißstimmungen 
wohl aufgehoben worden durch das erfolgreiche Arbeiten der französischen 
Diplomatie, um eine britisch-russische Annäherung zu fördern und so die 
spätere Tripelentente, den Dreiverband, vorzubereiten. Im September 
1905 konnte der belgische Gesandte zu Berlin bereits seiner Regierung 
berichten, daß man in den Kreisen der Londoner Hochfinanz den Gedanken, 
eine russische Anleihe in England aufzulegen, nicht mehr von der Hand 
weise. Wir kommen auf die englisch-russische Annäherung weiter unten 
ausführlich zurück. Hier seien die Anfänge nur angedeutet und die Tat- 
sache, daß seit dem französisch-britischen Marokkoabkommen die franzö- 
sischen Staatsmänner auch dieses alte Ziel ihrer Diplomatie, eine fran- 
zösisch-britisch-russische Bereinigung, geschickt und energisch förderten. Das 
allmählich erfolgreiche Fortschreiten dieser Bemühungen änderte aber 
nichts an der Tatsache, daß während der Jahre 1904 und 1905 Rußland 
einen europäischen Machtfaktor kaum darstellte, am allerwenigsten im Falle 
eines Krieges, wo nicht mehr Worte und ARimbus zählen, sondern nur 
wirkliche Macht. Es wirft sich immer wieder die Frage auf, durch welche 
Erwägungen die Politik Delcassés unter diesen Umständen bestimmt 
wurde, als er, ohne gezwungen zu sein, jede amtliche Mitteilung des 
Marokkoabkommens an die deutsche Regierung und auch sonst jede Füh- 
lungnahme in dieser Beziehung unterließ und damit die deutsche Regie- 
rung brüekierte. Hätte es sich lediglich um den Berstoß gegen die Form 
gehandelt, so wäre die Delcassésche Politik noch erklärlicher. Da er aber 
die Tunifizierung Marokkos bereits im Februar 1905 energisch in Angriff 
nehmen ließ, so mußte er schon vorher, ale er bierzu entschlossen war, 
annehmen, daß die deutsche Regierung früher oder später Einspruch er- 
heben würde. In der Tat wäre es für ihn wahrscheinlich vorteilhafter 
gewesen, nicht nur die internationalen Formen nicht zu verletzen, sondern 
im Gegenteil die deutsche Diplomatie bei guter Laune zu halten, anstatt 
durch gewollte Rücksichtslosigkeit das Moment der Berletzung der natio- 
nalen Gefühle und der Würde des Oeutschen Reiches unnötigerweise 
in die Lage hineinzubringen und sie damit zu komplizieren. 
Die Delcassésche Marokkopolitik von damals fußte auf zwei Haupt- 
erwägungen: dem Vertrauen auf Großbritanniens unbedingte Hilfs- 
bereitschaft und Macht und auf der Annahme, das Deutsche Neich werde 
sich durch Großbritannien einschüchtern lassen. Von der deutschen Diplo-
	        
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