Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

426 A. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
jede, die den Rahmen des Flottengesetzes und den des — nicht gesetzlich — 
festgelegten Flottenbauprogrammes überschritte, ein unüberwindliches 
Hindernis für das Zustandekommen einer Verständigung bilden werde. 
Dabei rechnete Großbritannien, wie beiläufig bemerkt sei, mit Sicherheit 
darauf, daß die Reichstagswahlen jener Jahreswende 1911/12 die sozial- 
demokratische und überhaupt demokratische Richtung in Deutschland mäch- 
tig stärken und damit der deutschen Regierung überhaupt die Möglichkeit 
großer Wehrmachtsvorlagen aus der Hand schlagen würden. Es war in 
London nicht unbemerkt geblieben, daß die deutsche Regierung, ebe sie in 
bestimmter Form über die beiden Vorlagen etwas verlautbarte, die Reichs- 
tagswahlen zum Abschluß gelangen ließ. In London und Paris sah man 
dieses Verfahren als ein Zeichen der Schwäche an und meinte, die deutsche 
Regierung habe nicht gewagt, vor den Wahlen Vorlagen einzubringen oder 
anzukündigen aus Furcht vor einer zu großen Stärkung der sozialdemo- 
kratischen Partei. 
Auf solche Andeutungen bhin, die anscheinend der deutschen Regierung 
von London aus gemacht worden sind, erging Anfang Februar oder Ende 
Januar die deutsche Anregung an die großbritannische Regierung, man möge 
zu näherer Rücksprache ein Mitglied des Kabinettes nach Berlin senden. 
Diesem Ansinnen wurde entsprochen, und im Laufe der ersten Februar-- 
bälfte traf der Kriegominister Haldane in privater Mission zu Berlin ein. 
Wie der Reichskanzler in jener Rede vom August 1915 sagte: „Lord Hal- 
dane versicherte mich des aufrichtigen Verständigungswillens des englischen 
Kabinettes.“ Lord Haldane hat im Juli 1915 sich ebenfalls über jenen 
Besuch geäußert und sagt u. a.: in Deutschland hätten damals starke Par- 
teien zum Kriege getrieben und er, Haldane, habe es deshalb als für seine 
Pflicht gehalten, alles zu tun, um eine freundschaftliche Stimmung in 
Deutschland zuwege zu bringen. „Ich kannte Deutschland einigermaßen, 
ich wußte um die Gefahren der Lage und wußte, wo sich die Pulverkammer 
befand, und ich bemühte mich aufs äußerste, den höchst ungerechten und höchst 
unwahren Berdacht zu beseitigen, welchen die in Deutschland entscheidende 
Partei hegte. Es hat nicht sein sollen, die Kriegspartei siegte.“ — Haldane 
stellt also die Dinge auf den Kopf, und sein wie des Kabinettes „aufrichtiger 
Verständigungswille“ war eine unwahre Redewendung. 
Lord Haldane, daran muß hier erinnert werden, war bereits 1906, 
ebenfalls nach einer Spannung, der damaligen Marokkokrisis, in Deutsch- 
land gewesen, um sich über die deutschen Heereseinrichtungen zu unter- 
richten. In sechsjähriger Arbeit hat er auf der Grundlage seiner damals in 
Deutschland gemachten Erfahrungen und Wahrnehmungen die britische 
Armeeorganisation, besonders die des Expeditionsheeres, mächtig ge- 
fördert, welches im gegebenen Augenblicke auf das Festland übersetzen und
	        
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