Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Die Sendung Lord Haldanes, ihre Begleitumstände und Folgen. 429 
  
haben, Frieden und Freundschaft untereinander sicherzustellen, erklärt 
England, daß es keinen unprovozierten Angriff usw.“ — Auch daraufhin 
setzte der Reichskanzler seine Bemühungen noch fort und erklärte sich zu 
weiterer Erörterung des Grepschen Vorschlages bereit, wenn dieser durch 
den folgenden Zusatz ergänzt würde: „England wird daher selbstverständ- 
lich wohlwollende Neutralität bewahren, sollte Deutschland ein Krieg auf- 
gezwungen werden.“ — Hätte Greyp bzw. das großbritannische Kabinett 
diese Ergänzung zu seinem Vorschlage angenommen, so würden alle Neu- 
bautenforderungen, also auch die letzt übriggebliebenen der deutschen 
Flottenvorlage verschwunden sein. Sir Edward Grep lehnte aber ab mit 
der Begründung, er würde die Beziehungen und Freundschaften zu den 
Mächten der Tripelentente gefährden, wenn er in der Verständigungs- 
formel über seinen Vorschlag hinausginge. Damit waren diese Verhand- 
lungen erledigt. Großbritannien hatte die Berstümmelung der deutschen 
Flottenvorlage erreicht, nur indem es kostenlos die deutschen Hoffnungen 
auf einen Neutralitätsvertrag benutzte. Lord Haldane hatte, wie ihm auch 
noch während des Krieges vom Premierminister Abquith bescheinigt worden 
ist, fich seines Auftrages zur vollen Zufriedenheit erledigt. Der großbritan- 
nische Kriegsminister scheint außerdem nach damaligen Auslassungen der 
englischen Presse und nach anderen Anzeichen für das Zustandekommen 
eines Vertrages und für ein wirklich vertrauensvolles BVerhältnis zwischen 
den beiden Mächten als Bedingung den Rücktritt des Staatssekretärs des 
Reichsmarineamtes, des Großadmirals v. Tirpitz, gefordert zu haben. 
Betrachtet man jene kurze aber inhaltreiche Periode im ganzen, so 
ergibt sich, daß die großbritannische Regierung von vornherein nie daran 
gedacht hat, sich durch ein Neutralitätsversprechen, unter welchen Ver- 
hältnissen auch immer, dem Deutschen Reiche gegenüber zu binden. Eine 
solche Reigung voraussetzen hieß zugleich eine geradezu grundstürzende 
Umwälzung aller Grundsätze, Methoden und Ziele in Gegenwart und Ber- 
gangenheit der großbritannischen Politik voraussetzen. Es bieß gleich- 
zeitig annehmen: die Leiter der großbritannischen Politik und die Mehr- 
heit der politisch denkenden Bevölkerung erachteten das Eingreifen in einem 
europäischen Kriege gegen Deutschland für ein großes und zu vermeidendes 
Unglück. Beides war nicht der Fall, und beides war für den sachlichen Be- 
urteiler schon aus der Geschichte der letzten zehn Zahre, nicht zu reden von 
der großbritannischen Geschichte der letzten zweihundert Jahre, klar er- 
sichtlich. Seit dem Jahre 1903 hatte die Politik König Eduards den alten 
bewährten Weg so vieler britischer Staatsmänner und Monarchen ein- 
geschlagen: eine europäische Festlandskoalition gegen die stärkste seefahrende 
Festlandemacht, das war jetzt Deutschland, zusammenzubringen. Wir 
haben alle Phasen dieser Entwicklung, dieser konsequenten und zielsicheren
	        
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