Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

436 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
Vormundschaft britischer Seebeherrschung gestanden hätte. Alexandrette 
nahe gegenüber liegt die Großbritannien gehörende Insel Cypern. Der 
Wert von Alexandrette, ja die Möglichkeit der wirtschaftlichen Ausnutzung 
dieses Hafens beruhte mithin auf der Beschaffenheit der deutsch-britischen 
Beziehungen, und das war eine Schwäche, die sich bei länger dauerndem 
Frieden steigend als solche gezeigt haben würde. 
Die Türkei fühlte sich naturgemäß durch das deutsche Entgegenkommen 
von dem englischen Orucke und den englischen Schikanen wesentlich er- 
leichtert, die Hohe Pforte erkannte ihn als deutschen Freundschaftsdienst an, 
und so hatte der Verzicht nach dieser Seite vielleicht politischen Wert. 
Die Marokkokrise im Sommer 1911 schuf auch hier eine Pause. Erst 
im ZLahre 1912 begannen die weiteren Berhandlungen über die Bagdad- 
bahn wieder, zugleich mit den Scheinverhandlungen über die portugie- 
sischen Kolonien. Im Frühjahr 1915 erklärte Sir E. Grey im Parlamente: 
Großbritannien habe die Uberzeugung gewonnen, daß die britischen Lebens- 
interessen durch die Bagdadbahn, bzw. ihre Bollendung nicht mehr ge- 
fährdet würden. Damals hatten sich die Berhältnisse folgendermaßen 
verändert: Der Bau der Strecke Bagdad—Bassora durch die Ottomanische 
Gesellschaft war von Großbritannien zugestanden worden unter der Be- 
dingung, daß keine Sondertarife oder andere Erschwerungen eingeführt 
und im Verwaltungerate zwei englische Mitglieder sich befinden sollten. 
Die Strecke von Bassora bis zum Persischen Golfe wollte Großbritannien 
selbst zu bauen das Recht haben und erhielt es. Ob dieses letzte Bahnstück 
Bassora—Persischer Golf jemals gebaut werden würde, war freilich 
zweifelhaft, heute ist es eine müßige Frage. Politisch hatte Großbritannien 
kein Znteresse daran, im Gegenteil. Das britische Interesse war dagegen 
um so größer, die Schiffahrtsverbindung von Bassora durch das Schatt-el- 
Arab mit dem Golfe in die Hand zu bekommen. Oie Unabhängigkeit des 
Scheiks von Koweit wurde im gleichen Jahre 19135 von der türkischen 
Regierung anerkannt. 
Alles in allem hatte die deutsche Gesellschaft also einen Hauptteil des 
ursprünglichen Planes aufgegeben, um das unmittelbar praktisch Erreichbare 
ohne Berzögerung fertigstellen zu können. Auf den Stand und Umfang 
der Verhandlungen im ZJahre 1914 wird noch zurückzukommen sein. 
Soschien von Anfang des Fahres 1912 an den Eläubigen alles zu einer 
hoffnunggebenden Entwicklung der deutsch-britischen Beziehungen angetan. 
Als eine Warnung für offene Ohren freilich klangen die häufigen Reden des 
neuen Ersten Lords der britischen Admiralität, Mr. Churchill. Während des 
Haldaneschen Besuches in Berlin erklärte Churchill in öffentlicher Rede: 
für Großbritannien sei eine meerbeherrschende Flotte eine Lebensnot- 
wendigkeit, während das Deutsche Reich eine starke Flotte nicht brauche.
	        
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