Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

442 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
der Balkanbund, sei es mit der Türkei oder ohne sie, sei fertig, und nie war 
etwas daraus geworden. Man betrachtete die Schaffung des Balkanbundes 
ähulich wie die Quadratur des Kreises und hielt einen solchen Zusammen- 
schluß wegen der tiefen Gegensätze und der politischen und nationalen 
Leidenschaftlichkeit der Balkanstaaten für unmöglich. Trotzdem war er 
Ereignis geworden. Es ist im Rahmen dieser gedrängten Schilderung 
der Politik des Deutschen Reiches nicht möglich, die damaligen Balkan- 
ereignisse, so interessant und wichtig sie sind, eingehend darzulegen. Sie 
gehören im eigentlichen Sinne des Wortes ebenso wie die Balkankriege 
1912/13 selbst zur Borgeschichte des Weltkrieges und werden in dieser aus- 
führlich behandelt werden. Hier müssen wir uns auf die Grundzüge und 
Hauptpunkte beschränken. 
Die Balkanbundbestredungen des Zahres 1908/09 waren gescheitert, 
freilich nicht restlos, denn eine gewisse Neigung zu gegenseitiger Annähe- 
rung zwischen Bulgarien und Serbien war geblieben. Diese Neigung ver- 
stärkte sich im Laufe der folgenden Jahre durch die großen und anscheinend 
unüberwindbaren Schwierigkeiten, welche das jungtürkische Regime im 
Inneren des Reiches fand. Die jungtürkischen Leiter des Reiches trieben. 
unter der Parole „Einigung und Fortschritt“ eine Politik der schematischen 
Zentralisierung der aus so verschieden gearteten Stämmen, Nationali- 
täten und Religionsbekenntnissen zusammengesetzten Bevölkerung, welche 
von vornherein an ihrer Unmöglichkeit scheitern mußte. So Ungleichartiges 
konnte nicht, vor allem nicht schnell und gewaltsam, gleichartig gemacht 
werden. Dazu kam, daß die türkische Regierung nicht Zeit hatte, sich die- 
jenige Machtstellung politisch und finanziell zu schaffen, welche eine der 
Grundbedingungen für derartiges, in der Türkei beispielloses Durchgreifen 
gewesen wäre. Schon im Jahre 10909 begannen schwere Unruhen in Alba- 
nien. Die Albaner hatten unter Abdul Hamid, der die Schwierigkeit 
kannte, eine bevorzugte und sehr freie Stellung gehabt. Die Jungtürken 
wollten sie zum Gehorsam, vor allem zur Abgabe ihrer Waffen zwingen. 
Gerade diese Forderung war ein Fehler, denn die Albaner betrachteten 
nichts in höherem Grade als ihr geheiligtes Recht wie das freie Tragen der 
Waffe. Der Aufstand 1909 wurde niedergeschlagen. 1910 wurde ein 
zweiter Aufstand mit großem Aufgebote wiederum niedergeschlagen, und 
die bedenkliche Folge war, daß ein Teil der christlichen Albaner nach MNon- 
tenegro floh und die Losreißung Albaniens vom Türkischen Reiche erörtert 
wurde. Oie Zungtürken versuchten nun in Güte die Sache beizulegen, und 
das gelang auch, aber nur für kurze Zeit. In der ersten Hälfte des Jahres 
1912 brach aufs neue ein Albaneraufstand aus, in dem wiederum die Los- 
reißung Albaniens von der Türkei proklamiert wurde. Die Pforte ist damals 
anscheinend geneigt gewesen, in den Verhandlungen mit Albanien zu einer
	        
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