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dauernden BVereinbarung zu gelangen und den Albanern einen erbeblichen
Grad von Selbständigkeit zu geben. Auch der österreichisch - ungarische
Minister des Auswärtigen, Graf Berchtold, der Nachfolger des verstorbenen
Grafen Aehrenthal, riet der Pforte hinsichtlich Albaniens zur Dezentrali-
sierung, und es scheint in der Tat, daß eine solche halb unabhängige Stellung
Albaniens innerhalb des damaligen Türkischen Reiches erwogen worden ist.
Damit würde aber auch das damalige türkische Mazedonien, welchem die
Albaner stets zustrebten, unter albanische Herrschaft geraten sein. Darüber
gab es keinen Zweifel.
Mazedonien bildete gewissermaßen den Kristallisationspunkt der ge-
fährlichen Balkanfragen überhaupt. Hier wütete seit Jahrzehnten das
Treiben der sog. Komitatschis serbischer und bulgarischer Provenienz
Hier brachen die albanischen Banden ein, und hier versuchten die türkischen
Behörden und schwachen Truppenkontingente vergeblich Ruhe und Ord-
nung zu schaffen, übten dabei vielfach auch ein Regiment der Willkür und
Unduldsamkeit. In Mazedonien setzte die mit unbeschränkten Geldsummen
arbeitende Propaganda des englischen „Balkankomitees“ ein, um der
Kultur, Zivilisation und Freiheit der Menschheit willen den Bandenkrieg
zu schüren und dann die Türkei bitter anzuklagen, daß sie noch immer nicht
die nötigen Reformen in Mazedonien einführe. Daß die Notwendigkeit
von Reformen vorlag, war nicht zu bestreiten, ebensowenig aber, daß die
britischen und russischen Balkanumtriebe es der schwer um ihr staatliches
Dasein kämpfenden Türkei planmäßig unmöglich machten, schnell solche
Reformen wirksam einzuführen. Schwere Aufstände in Arabien und die
üblichen Unruhen in Armenien kamen hinzu.
Auf das mazedonische Gebiet waren die Expansionsbestrebungen
Serbiens wie Bulgarieno gerichtet. Fe mehr unterwühlt das Gebäude
des Türkischen Reiches erschien, desto lebendiger wurden die Hoffnungen
Serbiens wie Bulgariens, der Augenblick zum Handeln stehe bevor. Für
Bulgarien tauchte, abgesehen von Ostmazedonien, auch Konstantinopel als
altes Ziel auf, und Serbien, das sich 1909 nur unter äußerstem Drucke ge-
fügt hatte, strebte nach dem Adriatischen Meere. Der Weg dahin mußte
durch Albanien hindurch und nach einem albanischen Hafen führen. Oie
Annexion Bosniens und der Herzegowina durch Österreich-Ungarn hatte
einen anderen Weg Serbiens nach der Adriatischen Küste ohne vorherige
Vernichtung Österreich--Ungarns unmöglich gemacht. Der neue Weg aber
erschien deshalb ganz besonders hoffnungverheißend, weil er durch den
Sandschak Nowibasar geführt hätte. Dieses zum großen Teil serbisch
bevölkerte Gebiet aber hatte bekanntlich ÖOsterreich-Ungarn 1909 dem
Türkischen Reiche zurückgegeben und auf alle eignen früheren vertrag-
lichen Rechte verzichtet. — Unter solchen Berhältnissen mußte ed für die