Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Der Helgoland- und Sansibarhandel. 43 
  
Anschlusses an Großbritannien. Es liegt auf der Hand, daß die britischen 
Staateomänner schnell zugriffen und die Gelegenheit ausnutzten, besonders 
da sie wußten — wahrscheinlich sogar selbst suggeriert hatten —, daß Caprivi 
den deutsch-russischen Neutralitätsvertrag fallen zu lassen entschlossen war. 
So hatte Caprivi von seinem Standpunkte wenig fortgegeben, um 
viel dafür einzutauschen. In Deutschland war man durchweg anderer 
Ansicht, und auch heute ist es kaum möglich, sich des Glaubens zu ent- 
schlagen, daß es politisch und sachlich nicht nötig war, alle jene afrikanischen 
Gebiete preiszugeben. Freilich, die Politik wird von Personen gemacht, 
und so beruhte die Art jenes Handels auch auf den persönlichen Uberzeu- 
gungen und relativen Fähigkeiten Caprivis. Es ist nicht richtig, zu sagen, 
daß er sich von England habe „übertölpeln“ lassen, denn er hatte sich 
subjektiv vollkommen klare Urteile über die zur Verhandlung stehenden 
kolonialen und rein politischen Tauschwerte gebildet. Caprivi und Lord 
Salisbury maßen nicht mit ungleichen, sondern mit ganz ungleichartigen 
Maßstäben. Caprivis Wertbemessung der Kolonien war unrichtig, Lord 
Salisbury hatte nicht die Fähigkeit, in Helgoland einen Zukunftswert 
zu erblicken. 
Wer heute abschätzen will, wieviel von den deutschen Ergebnissen 
jenes Tauschhandels wesentliche positive Bedeutung behalten hat, wird 
weit vor allem die Insel Helgoland finden. Die negative Bedeutung, mit 
anderen Worten der Berlust jener großen afrikanischen Gebiete, bleibt 
natürlich Verlust, während die Insel Sansibar, besonders auch als Zu- 
kunftswert, ebenso weit überschätzt worden ist wie die Walfischbucht. Es 
ist schwer, jene aufgegebenen afrikanischen Gebiete mit der Insel Helgo- 
land in Vergleich zu stellen, weil beide der Art und dem Gebiete des Wertes 
nach zu verschieden sind. Will man sie aber usiter einen Generalnenner 
bringen, so ist als solcher nur der Zustand anzuerkennen, welcher vorhanden 
war, als der Tauschhandel noch nicht stattgefunden hatte. Man könnte 
einwenden, daß, ehe wir Helgoland hatten, kein Mensch nachteilig emp- 
fand, daß wir es nicht besaßen, und, wenn sich später ein Wert entwickelt 
habe, dieses auch bei den afrikanischen Gebieten, die deutscherseits auf- 
gegeben wurden, der Fall gewesen sein würde. Diese Beweisführung 
ist aber nicht richtig, denn die, wenn man so sagen darf, unmittelbar inter- 
essierte Stelle: die deutsche Marine, war sich eines erheblichen Wertes 
der Insel Helgoland wohl bewußt; in erster Linie begriff man, daß in der 
Hand einer anderen Seemacht die Insel ein Pfahl im deutschen Fleisch war. 
Dieser „negative“ Wert war klar. Der positive ist erst viel später allgemein 
in Deutschland anerkannt worden.
	        
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