Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

54 1. Abschnitt. VBon Rußland zu Großbritannien. 1887—1894. 
  
ländischen Grenznachbarn hatten sich die Hände gereicht und waren fest 
miteinander verbunden. Die deutsch-russischen Beziehungen waren lose 
und kühl, ohne gegenseitiges Bertrauen, während das vor zwei Jahren 
noch so enge Verhältnis mit Großbritannien sich zu lösen fortfuhr und 
schon unklar geworden war. Koloniale Fragen begannen die Orientie- 
rung der Großmächte stark zu beeinflussen. Deutschland beteiligte sich 
nicht mit Geschick an ihnen, soweit Grenzregelungen in Frage kamen. 
Dagegen scheint jene Entsendung der beiden deutschen Kreuzer nach der 
Oelagoabucht aus einem, wenn nicht zielbewußten, so doch von einem 
bestimmten Gesichtspunkte ausgehenden politischen Gedanken des Frei- 
herrn v. Marschall veranlaßt worden zu sein: dem eines erheblichen 
deutschen Interesses an der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der süd- 
afrikanischen Burenrepubliken. Es war das die einzige Jußerung einer 
weitergreifenden Politik des Deutschen Reiches, eines ersten Anfanges. 
Der Dreibund stand unerschüttert da, aber in Ztalien war der Streit 
der Meinungen heißer denn je. Das Land litt wirtschaftlich stark. Viele 
Politiker behaupteten, daß das Deutsche Reich seinem südlichen Bundes- 
genossen nicht mehr so bereitwillig und energisch Rückenstärkung gäbe, 
wie zu Bismarcke Zeiten. Der Oreibund erdrücke dagegen durch seine 
ungeheuren Militärlasten das italienische Volk wirtschaftlich. Eine starke 
— Fgleichzeitig frankreichfreundliche — Opposition gegen Monarchie und 
Heer machte sich bemerklich. Crispi, 1894 wieder Ministerpräsident, trat 
mit Energie für das Heer ein und rief den IZtalienern zu: „Nur die Mon- 
archie bezeichnet die Einheit und die Zukunft des Baterlandes.“ Trotz des 
Zwischenfalles von Llgues-Mortes, als in Italien die gerechte Entrüstung 
gegen Frankreich wieder einen Gipfel erreichte, war während der Jahre 
1891 bis 1894 ein Vachsen der Stimmung für Frankreich unverkennbar: 
nicht gerade bewußt auf Kosten des Oreibundes, aber es herrschte doch 
die Anschauung, daß nach Aufbhören des Zollkrieges und Platzgreifen 
einer versöhnlicheren Stimmung zwischen den beiden Mächten die wirt- 
schaftlichen Nöte des Landes sich mindern würden. Unterstützt wurde 
diese Stimmung durch das Mißfallen am italienisch-deutschen Handels- 
vertrage. Crispi, als Bertreter der Opposition im Parlamente, tadelte 
sogar (1892), daß man den ODreibundvertrag vor dem Abschluß des neuen 
Handelsvertrages erneuert und so ein Oruckmittel im Sinne des letzteren 
ohne Not aus der Hand gegeben habe. 
Die internationalen Kolumbusfeste 1892 in Genua vollends waren 
ein bedeutungsvolles Syomptom von dem Umschwunge der italienischen 
Stimmung Frankreich gegenüber. Kriegeschiffe aller europäischen Na- 
tionen lagen auf der Reede von Genua versammelt, freilich nur ein ein- 
ziger deutscher Kreuzer bezeichnete als ein von der französischen Presse
	        
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