Full text: Von Potsdam nach Doorn.

großen Moltke) — man kann wohl sagen: mit allen Kräften — dagegen 
sträubte, Schlieffens Nachfolger zu werden, sagte ihm der Kaiser: Das biß- 
chen Generalstabsarbeit in Friedenszeiten werde Moltke schon machen 
können, im Kriege werdeer, der Kaiser, die Sache selbst in die Hand nehmen. 
Auch hierauf hat der spätere Gang der Ereignisse seine vernichtende Ant- 
wort gegeben. 
Kein Zweifel kann darüber walten, daß persönlich für den jungen Kaiser 
der Verkehr mit Bismarck in jedem Sinne ein schweres Problem’sein mußte, 
schon deshalb, weil er, der Kaiser, Erfahrung und Leistung anderer wohl 
rückwärtig akademisch anzuerkennen gewohnt war, jedoch nicht geneigt, 
selbst daraus zu lernen und sich als Lernender zu bekennen. Auch das ist ein 
beachtenswerter Charakterzug. Man könnte denken, daß hier die schwere 
nachherige Verstimmung mit Bismarck wohl entscheidend gewesen sei, 
denn dieser hoffte noch ein halbes Jahr immer von neuem, daß der Kaiser 
doch noch seinen Rat in Anspruch nehmen werde, als ein Mißerfolg nach dem 
anderen kam. Dem steht aber gegenüber, daß der Feldmarschall Graf Moltke, 
den der Kaiser bis zu dessen Tode mit weithin auffallenden Auszeichnungen 
überhäufte, dem ihm lange Zeit beigegebenen General Graf Waldersee sagte: 
niemals habe ihn der Kaiser in irgendeiner militärischen Frage oder An- 
gelegenheit um seine Ansicht, um seinen Rat gefragt. Ein andersgearteter 
Monarch würde sich glücklich gepriesen haben für jedes Jahr, das ihm noch 
ermöglicht hätte, einen der größten Feldherren der Kriegsgeschichte per- 
sönlich zu Rate zu ziehen. Darauf legte Wilhelm II. keinen Wert, wohl aber 
darauf, der deutschen Öffentlichkeit zu zeigen: mit so hohen Ehren über- 
häufe ich einen Mann, der mir keinen Anlaß zum Mißfallen gibt! 
Bei verschiedenen Gelegenheiten hat Bismarck in Gesprächen gesagt, 
früher habe er viele andere Interessen gehabt, mit der Zeit habe seine po- 
litische Leidenschaft alles andere aufgefressen. Psychologisch ist dieses 
Moment, bei seinem Verhalten dem Kaiser gegenüber, als bedeutend ein- 
zuschätzen. Jeden, der ihn in seiner Arbeit störte, sein Werk hinderte, oder 
diesem gefährlich war, oder ihm auch nur gefährlich schien, den als seinen 
Feind unversöhnlich zu bekämpfen, war für Bismarck eine Selbstverständ- 
lichkeit. Daß er gerade in solchen Kämpfen mit seinen Mitteln nicht wähle- 
risch vorging, ist ebenso geschichtlich bekannt wie sein Haß gegen den 
politischen Feind und das völlige Fehlen jeder persönlichen Rücksichtnahme. 
Was und wer sich ihm auf seinem Wege entgegenstellte, mußte vernichtet 
werden, einerlei wie, oft auch da, wo nur ein Argwohn vorhanden war; 
ebensowenig kann bestritten werden, daß er stets mit den stärksten Mitteln 
manchmal auch unnötigerweise vorging, wie die Redewendung lautet: auf 
Spatzen mit Kanonen schoß. Auch die Stellung der Persönlichkeit war ihm 
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