Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Brutalität gegen erfolgreich auf dem europäischen Kontinent handeltrei- 
bende Mächte betätigt. Der Zusammenbruch des spanischen Kolonialreiches 
unter dem Angriff der Vereinigten Staaten, nach Vernichtung der veralteten 
spanischen Flotte, und, nicht zum wenigsten, eben jene fortgesetzten briti- 
schen Drohungen mußten in erster Linie den weitblickenden Persönlich- 
keiten unter den großen deutschen Kaufleuten zu denken geben, nicht 
weniger deutschen Seeoffizieren. Das Mißverhältnis wurde immer offen- 
barer: das ungeheure Wachsen des ungeschützten deutschen Handels und 
der überseeischen Investierungen und auf der anderen Seite das Fehlen einer 
Seemacht. Mit einer etwas leichtfertigen, auf Unkenntnis beruhenden Zu- 
versichtlichkeit wurde von der Außenpolitik und der Armee eine heikle Frage 
beantwortet: auf dem Festlande, in den Schlachten des zu erwartenden 
Zweifrontenkrieges würden die Kolonien, die überseeischen Interessen, die 
deutschen Küsten und Gewässer und auch der Seehandel verteidigt werden. 
Gewiß müsse ein Reich wie Deutschland eine ‚‚gute Anstandsflotte‘‘ bauen, 
aber im übrigen sei die Fottenfrage mehr oder weniger eine solche ge- 
schickter Politik und — alles ın allem — eine Nebenfrage. Der damalige 
Staatssekretär des Reichsmarineamts tat dazu noch den unrichtigen und 
unglücklichen Ausspruch: die deutschen Küsten schützten sich selbst. 
Bismarck, der, wie die Vertreter des ‚Neuen Kurses‘ ihn nannten, ‚‚be- 
schränkte Kontinentalpolitiker‘‘, hat noch wenige Jahre vor seinem Tode 
die wahre Ursache der britischen Feindseligkeit in schlagender Kürze aus- 
gesprochen: 
Im Frühjahr 1898 richtete der Bismarck von früher bekannte englische 
Schriftsteller Sidney Whitman an den alten Fürsten schriftlich die Frage, 
wie die englisch-deutschen Beziehungen wohl gebessert werden könnten. Bis- 
marck ließ ihm durch seinen Schwiegersohn, Graf Rantzau, antworten :,,Der 
Fürst bedauere, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und England 
nicht besser seien, als sie eben sind. Bedauerlich wisse er dagegen kein Mittel, 
da das einzige ihm bekannte, das darin bestehe, daß wir unserer deutschen 
Industrie einen Zaun anlegten, nicht gut verwendbar sei.“ 
Die Ironie dieser Antwort war ebenso deutlich wie die Bezeichnung der 
Handelseifersucht als Ursache und Leitmotiv für die britische Feindschaft. 
‚Die deutsche Industrie — durch seine Schutzzoll-Gesetzgebung vom Jahre 
1879 hatte Bismarck ihr riesiges Wachsen begründet — war der Feind. 
Damit war alles gesagt. Als Bismarck dies, wenige Monate vor seinem Tode, 
feststellte, erkannte er durch seine Redewendung zugleich an, daß für die 
Engländer dieser Gegensatz unversöhnlich war. 
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