Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Kaiser Wilhelm II. legte schon als Prinz ein enthusiastisches Interesse für 
das Seekriegswesen und alles, was damit zusammenhängt, an den Tag, im 
großen wie im einzelnen — war, wie man damals sich auszudrücken pflegte, 
„Marineschwärmer‘. Er kannte genau das Kriegsschiffmaterial der eng- 
lischen Seemacht, auch aus seiner eigenen Anschauung während seiner zahl- 
reichen Besuche bei der königlichen Familie, wußte Bescheid auch um die 
zweitgrößte Marine damals, die französische, und die übrigen. Der Vergleich 
mit Deutschlands Wehrlosigkeit zur See lag für den zukünftigen Herrscher 
nahe genug, ebenso nahe wie der Entschluß und Vorsatz: damit müsse es 
bald und gründlich anders werden. Es ist wahrscheinlich, daß der Kaiser, 
schon bevor er auf den Thron kam, die Nachfolge seines Vaters antrat, als 
Lieblingsgedanken vor Augen gehabt hat: wıe sein Großvater der Begründer 
der Armee und damit des unüberwindlichen Festlandreiches geworden sei, 
so würde er, Wilhelm II., als der große Flottengründer und Schöpfer eines 
gewaltigen deutschen Weltreiches auf die Nachwelt kommen. Solche Ge- 
danken hinderten ihn bei seiner impulsiv auftretenden geistigen Beweglich- 
keit und der damit verbundenen Neigung zu jähen Ansichtswechseln nicht, 
seiner Großmutter, als sie ihm den Titel eines englischen Flottenadmirals ge- 
geben hatte, begeistert zu schreiben, er fühle sich so, als ob er der englischen 
Flotte angehöre. 
Seit seinem Regierungsantritt unterließ der Kaiser keine Gelegenheit, die 
deutsche Öffentlichkeit auf jenes Mißverhältnis hinzuweisen und darüber auf- 
zuklären und auf die großen Gefahren, die hinter der maritimen Ohnmacht 
standen. Er trieb eine dauernde Propaganda und fertigte überall verbreitete 
Tabellen an, die zeigen sollten, wie notwendig eine starke Flotte für Deutsch- 
land sei. Während der ersten zehn Jahre seiner Regierung reagierte die deut- 
sche Bevölkerung auf diese und andere Anregungsversuche nur zu einemsehr 
geringen Teil, ebenso wie die Presse der Parteien und vollends der Reichstag. 
Die Gegenargumente pflegten zu sein: ohne Seemacht sei Deutschland groß 
und mächtig geworden, eine starke Flotte sei nur eine unnötige, große Auf- 
gabe, die Armee koste genug, schon viel zuviel, zu dem Militarismus wolle 
man nun nicht noch den Marinismus haben. Jahr für Jahr wurde um jeden 
vorgeschlagenen Neubau oder auch um einzelne Jahresraten im Reichstage 
gekuhhandelt, die Sache kam nicht vorwärts. 
Das ging so lange, bis der Kaiser 1897 den damaligen Konteradmiral 
Tirpitz, der damals schon in der Marine als die hervorragendste Persönlich- 
keit anerkannt war, zum Staatssekretär des Reichsmarineamts machte. 
Tirpitz brachte sofort, was seine Vorgänger nicht vermocht hatten, nicht 
nur den ausgearbeiteten Gedanken einer organischen Planmäßigkeit für den 
Ausbau der maritimen Wehrkraft mit, sondern auch die sachliche Begrün- 
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