Full text: Von Potsdam nach Doorn.

des Kaisers eintraten, sein eigenes Wort vor: ‚An einem Kaiserwort soll man 
nicht drehen und deuteln.‘‘ 
Diese Beispiele kaiserlicher Redeblüten mögen hier genügen, um zu zeigen, 
daß in Verbindung mit ihnen der große Flottenbau von 1900 von der anti- 
deutschen Weltpropaganda mit größtem Erfolge ausgenutzt werden konnte: 
Des Kaisers Reden könnten gar keinen Zweifel darüber lassen, daß die deut- 
sche Flotte nur gebaut werde, um die deutsche Weltherrschaft zu erobern. 
Bis sie fertig sei, werde die Politik des Kaisers trachten, im rechten Augen- 
blick einen Konflikt mit Frankreich zu entfesseln. Dann werde das arme 
Frankreich überrannt werden, Deutschland werde die Kanalküste und die 
atlantischen Häfen Frankreichs besetzen und nun den Krieg gegen Groß- 
britannien, ‚‚unsere arme kleine Insel!‘‘, beginnen, in einem Augenblick der 
Abwesenheit der englischen Hauptflotte eine Armee übersetzen: Groß- 
britanniens Ende! Damit nicht genug, werde dann der unersättliche deutsche 
Eroberer gegen den amerikanischen Kontinent vorgehen, sich zunächst der 
Westindischen Inseln bemächtigen und in der Folge verschiedener Küsten- 
punkte Mittelamerikas; der nordamerikanische Kontinent sei auf Ver- 
teidigung nicht eingerichtet, die südamerikanischen Staaten vollständig 
ungeschützt, also höchste Gefahr im Verzuge. Die deutsche Besitznahme von 
Australien und Neuseeland wäre dann eine Frage nur sehr kurzer Zeit. 
Es war kein Zufall, daß — während desselben Zeitraumes — eine große 
Anzahl von Zukunfts-Kriegsromanen in die Weltöffentlichkeit geworfen 
wurde. Engländer und Amerikaner waren die meisten Verfasser, außerdem 
einige Franzosen. In allen wurde der deutsche Eroberungskrieg als die große, 
unmittelbar bevorstehende Gefahr geschildert, teils als Vernichtung, teils 
als Sieg der Nationen der ‚Freiheit und des Friedens“ Darüber hinaus 
sorgten ganz ähnlich, wie seit 1933, die telegraphischen Weltagenturen, an 
der Spitze das Reuter-Büro, für eine nie abreißende Reihe erlogener Nach- 
richten über irgendwelche neuen Absichten des Deutschen Reichs, ‚die Un- 
ruhe der Welt zu vermehren‘, sich in alle Begebenheiten und Vorgänge ein- 
zumischen. 
Diese dauernde Verhetzung erwies sich als erschreckend wirkungsvoll und 
hat England und seinen Genossen in hohem Maße geholfen, den Weltkrieg 
politisch vorzubereiten, die große Kriegskoalition von 1914 zusammen- 
zubringen und die Lüge von der deutschen Kriegsschuld vorwegzunehmen. 
Bei Kriegsausbruch hieß es sofort in der Weltöffentlichkeit: Wir haben ja 
immer vorausgesagt: der Kaiser will den Krieg und schlägt los, wenn er den 
Augenblick gekommen glaubt! 
Die Feststellung ist nicht übertrieben, daß die Reden Wilhelms II. dieser 
Propaganda vierzehn Jahre lang wertvollstes Material geliefert haben. Man 
333
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.