Full text: Von Potsdam nach Doorn.

die Eigenschaften des Kaisers schrieb, eben die Schwäche und Verzagtheit 
und die Oberflächlichkeit seines Wesens und seiner Urteile als Tatsachen 
hinstellen können. Es war also undenkbar, daß die an einer richtigen Be- 
urteilung Wilhelms II. aufs tiefste interessierte Sozialdemokratie und Demo- 
kratie, die überdies unter dem kaiserlichen Personal dauernd ihre An- 
gehörigen und Spione hatten, über die innere Schwäche des Kaisers nicht 
genau unterrichtet gewesen wären. Sie hat sich nie durch seine drohenden 
Reden einschüchtern lassen, und der Erfolg hat ausnahmslos die Richtigkeit 
ihrer Kalkulationen bestätigt. 
In dem genannten Buch wurde auch angedeutet, was sich in dem weiteren 
Verlauf der Regierung Wilhelms II. immer deutlicher herausstellte, daß das 
äußere Auftreten des Kaisers, überhaupt seine ‚Form‘, wozu auch seine 
Reden gehörten, gewissermaßen Schutzfarben waren, eine Mimicry, um die 
Schwäche zu verbergen, und deren Gegenteil glauben zu machen. Mehr 
scheinen, alssein — dieses fortwährende Streben war die schlimme Gabe, 
die Wilhelm II. in die Wiege gelegt worden ist. Seine Eltern haben es gewußt. 
Der Prinz Wilhelm und der Kaiser der allerersten Zeit hat möglicher- 
weise noch wirklich innerlich an sich geglaubt. Vielleicht ist er damals noch 
überzeugt gewesen, seine Reden durch Taten verwirklichen zu können, frei- 
lich erschienen ihm seine Reden schon Taten zu sein. Schon nach den ersten 
Jahren seiner Alleinregierung dürfte das kaum mehr möglich gewesen sein, 
denn Schlag auf Schlag waren nach außen und im Inneren die Fehlschläge 
einander gefolgt. Um so größer wurden die Anstrengungen des Kaisers, der 
deutschen Bevölkerung und dem Auslande gegenüber wenigstens das Ge- 
sicht zu wahren, sein Ansehen zu stärken, und den Eindruck zu erwecken, 
daß seine Reden wirklich Taten seien. Wir gedachten schon des auffälligen 
Fehlens einer auch nur durchschnittlich annähernd richtigen Psychologie 
des deutschen Volks. Gewiß darf nicht außer acht bleiben, daß die Byzan- 
tinerwolke, die ihn immer umgab, ein Hindernis für Freiheit und Richtig- 
keit seines Blicks war und blieb. Fragen wir aber nach dem Ursprung dieser 
Wolke, so bleibt nur die alte Antwort, daß der Kaiser sie sich selbst durch 
sein Wesen geschaffen hat, und immer neu schuf, weil er nötig hatte, ständig 
von Menschen umgeben zu sein, die ihm schmeichelten und ihn verherr- 
lichten, ihn alle Mißerfolge entweder vergessen ließen, oder anderen Men- 
schen zur Last legten. Schon sich selbst gegenüber — das kam hinzu — 
brauchte er dauerndes Nähren seines Gefühls der Unfehlbarkeit, falls die 
Selbstsuggestion nicht ausreichte. Seine Schriften, die er nach 1918 in 
Holland verfaßt hat, in erster Linie ‚Ereignisse und Gestalten“, geben ihm, 
dem Kaiser, immer das Zeugnis: Ich habe immer das Richtige gewollt, aber 
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