Full text: Von Potsdam nach Doorn.

und durch die Befreiungskriege die, wie wir heute sagen: Mentalität der Be- 
völkerung, neben allem Unglück, in einem Maße aufgelockert und durch- 
gerüttelt worden war, daß schon deshalb Entwicklungskeime aller Art unter 
der Erde sproßten und nach oben durchzubrechen verlangten. 
Merkwürdig erscheint es, daß ein Mann von der Klugheit und psycho- 
logischen Urteilskraft Metternichs hat glauben können, daß auf diese Weise 
eine wirkliche innere Ordnung, ein stabiler Zustand sich schaffen ließe. 
Wir werden das Metternich-Zeitalter zu verfolgen haben, auch um be- 
urteilen zu können, ob das deutsche Volk im ganzen genommen und ob vor 
allem die deutsche Jugend in den Mittelpunkt ihres deutschen Sehnens und 
Wollens die Monarchie und im besonderen den Kaiser stellten, oder die 
deutsche Einheit, also: ob der Kaiser das Ziel war oder nur das Mittel, 
um zum Ziel der deutschen Einheit zu gelangen. Metternich wollte wederdas 
eine noch das andere, und darin waren die deutschen Fürsten mit ihm einig, 
ebenso wie Frankreich es war. Zum Teil einig waren allerdings die deutschen 
Fürsten in einem wichtigen Punkte, nämlich in dem der Einrichtungen von 
Verfassungen. Metternichs eifriges und geschicktes Bestreben ging darauf 
aus, die deutschen Fürsten davon abzubringen, ihren Bevölkerungen Ver- 
fassungen zu geben. Auch Friedrich Wilhelm der Dritte von Preußen hatte 
eine repräsentative Verfassung versprochen. Die Ausführung wurde aber in 
Preußen von Jahr zu Jahr und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt hingeschleppt, 
im Grunde genommen war das ganz im Sinne des Metternichschen Gedan- 
kens und seiner Auffassung von Ruhe und Ordnung und Erhaltung des Be- 
stehenden. Ähnlich ging es in anderen Staaten. 
Der Geschichtsforscher Dahlmann sagte, besorgt, wie damals schon viele, 
in einer Rede: 
„Friede und Freude kann nicht sicher wiederkehren auf Erden, bis, wie die 
Kriege volksmäßig gewesen und dadurch siegreich geworden sind, auch die 
Friedenszeiten es werden, bis auch in diesen der Volksgeist gefragt und in 
Ehren gehalten wird, bis das Licht guter Verfassungen herantritt und die 
kümmerlichen Lampen der Kabinette überstrahlt.‘ 
Das war damals ‚Liberalismus‘, reiner, judenfreier Liberalismus, und 
wurde — ebenso wie alles, was der Freiherr vom Stein, Arndt, Gneisenauund 
auch schon Scharnhorst gewollt und gesagt hatten, als Jakobinertum von 
den konservativen Kräften, den ‚staatserhaltenden‘‘, angeprangert und, 
wenn möglich, unter Verfolgung, zum mindesten unter Kontrolle gestellt. 
Heute, nach rund hundertfünfundzwanzig Jahren, da es in Deutschland 
weder Jakobinertum gibt noch Konservativismus, noch Liberalismus, kann 
ein nüchternes Urteil von unserem nationalsozialistischen Standpunkt nur 
dahin lauten, daß jene ‚Liberalen‘‘ und ‚‚Jakobiner‘‘ Vertreter des deut- 
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