Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Es konnte nicht im Plane dieses Buches liegen, die Geschichte der preu- 
Bischen Könige und damit die Geschichte Preußens selbst im Inneren wie 
nach außen hin zu schreiben. Uns kommt es an auf das Werden des groß- 
deutschen, nationaldeutschen Gedankens und die Versuche seiner Verwirk- 
lichung ; im besonderen auf jene schon früher bezeichnete Frage: Worum war 
es den Deutschen im Kern zu tun: um das Kaisertum oder um die deutsche 
Einheit und Einigkeit ? Sollte der Glanz der Kaiserkrone, des Kaisermythos 
die Hauptsache sein — oder das zur Einheit zusammengeschlossene Volk 
und Gebiet? Sollte das Reich Mittel zum Kaiser sein — oder der Kaiser 
Mittel zum Reich ? — 
Vom Anfang an, also seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, war 
der Ruf nach dem geeinten und einigen ‚Deutschen Vaterland‘ zugleich ein 
Ruf des Protestes gegen alle Monarchen und Monarchien, die dieses einige 
Deutschland nicht wollten. Und es war kaum ein einziger, der es wollte; 
höchstens gab es einige Fürsten, die den Gedanken derer für erträglich 
hielten, welche den Segen einer deutschen Einheit im Laufe der Jahrzehnte 
mehr und mehr einsahen. Sie urteilten — übrigens auch zum Teil gedrängt 
von hervorragenden Männern des wirtschaftlichen Lebens — aus rein prak- 
tischen Erwägungen. Das war sicher besser als nichts, aber der grundlegende 
Unterschied darf nicht außer acht bleiben: nur praktische, meist wirt- 
schaftspolitische Erwägung oder deutsche Einheit als Ideal schlechthin! 
Seit den Befreiungskriegen war man sich in ganz Europa, auch in Deutsch- 
land selbsi, darüber klar, daß Preußen entweder im Verein mit Österreich 
oder allein und dann ohneGemeinschaft mit Österreich die Führung der zahl- 
reichen deutschen Staaten zu übernehmen eigentlich bestimmt sei. Von den 
ausländischen Mächten wünschte das niemand, und am allerwenigsten 
wünschte es Österreich. „Niemals unter, immer mit Österreich!“ war das 
politische Testament des dritten Friedrich Wilhelm an seinen Sohn gewesen. 
Der Vater hatte diese selbst gegebene Linie nicht befolgt, indem er sich 
Metternich unterwarf, denn dieser trieb mit seiner europäischen Politik in 
erster Linie österreichische Politik. 
Außer der persönlichen Überlegenheit des Fürsten Metternich, politisch 
wie diplomatisch, wirkte aber ein schwerwiegender Faktor, nämlich die 
merkwürdige, überlieferte Ehrfurcht dem Habsburger Kaiserhaus gegen- 
über, eine Ehrfurcht, die uns, wenn wir von ihr lesen, fast kindisch berührt 
und als Zeichen eines minderwertigen Niveaus der Fürsten erscheint. Fried- 
rich der Große spürte nichts von dieser Ehrfurcht. Die Fürsten kannten 
einander und auch das Haus Habsburg aus jahrhundertelanger Erfahrung 
gut genug und wußten genau, was Habsburg für — richtiger: gegen — das 
Reich bedeutet hatte. Auch sie hatten ihre Bündnisse, die wahrlich nicht 
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